Cold Case-Fall in Oberösterreich: Wer warf die Handgranate?

Die Spurensicherung am Anschlagsort
Disco-Attentat seit 20 Jahren ungeklärt. 27 zum Teil schwer Verletzte.

Von Gerhard Lukesch

„Ich träume noch immer von dem Moment, als es den enormen Kracher gemacht hat, und zahlreiche Menschen blutend zu Boden stürzten“, beschreibt Elvin, 40, dem KURIER die dramatischen Minuten vor genau 20 Jahren in der Diskothek „X-Large“ an der Eduard-Süß-Straße in Linz. Ein bis heute unbekannter Täter hatte eine Handgranate des Typs „M 75“ auf die Tanzfläche geworfen.

Alarm um drei Uhr früh

Für Polizei und Rettung gab es am 27. Juli 2002 gegen drei Uhr früh Großalarm. Von den insgesamt 60 Gästen der Disco wurden 27 zum Teil schwer verletzt, zwei davon lebensgefährlich. Sofort wurden auch die Unfallstationen des AKH und das UKH vorinformiert. „Massenanfall von Verletzten durch Handgranatenanschlag, bitte alles vorbereiten, die ersten Patienten kommen in etwa zehn Minuten“, lautete die Information der Rettungsleitzentrale Linz an die Spitäler.

Dass es keine Toten gab, lag am Typ der Handgranate: Die „M 75“ ist eine strategische Waffe, die eine Plastikhülle hat und mit Hunderten kleinen Stahlkugeln gefüllt ist. Sie soll möglichst viele Helfer im Angriffsfall binden, aber primär nicht töten.

Stahlkugeln

„Es war eigentlich ein großes Glück, dass es sich um Stahl- und nicht um Plastikkugeln gehandelt hat“, erinnerte sich der Unfallchirurg Oberarzt Wolfgang Mayr vom UKH Linz. „Sonst hätten wir bei unseren insgesamt 17 Patienten eine langdauernde CT-Untersuchung und nicht nur lediglich ein Röntgen machen müssen, um die Schwere der Verletzungen zu beurteilen.“

Zwei der Opfer im UKH befanden sich in Lebensgefahr: Bei einem Opfer wurde die Blase, bei einem anderen die Leber von einer Stahlkugel durchschlagen. Die restlichen Patienten hatten zumeist Treffer an Armen und Beinen sowie am Rücken. Im AKH Linz wurde ein Patient mit einem Leberdurchschuss operiert.

Cold Case-Fall in Oberösterreich: Wer warf die Handgranate?

Eine Handgranate des Typs "M 75" war die Tatwaffe

Sofort nach dem Anschlag in der hauptsächlich von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien besuchten Diskothek begannen die Ermittlungen der Linzer Kriminalpolizei und die Spurensicherung. Auf dem Abzugsring wurde eine DNA-Spur sichergestellt, doch die führte zu keinem Erfolg.

Cold Case-Fall in Oberösterreich: Wer warf die Handgranate?

Das Röntgenbild eines Patienten mit einer Kugel nahe der Wirbelsäule

Der Täter konnte nicht ausgeforscht werden. „Er darf sich aber nicht in Sicherheit wiegen. Auch heute noch kann der Mann wegen des Anschlages verurteilt werden. Das Verfahren gegen den bisher unbekannten Täter wurde abgebrochen, das bedeutet, dass der Verantwortliche noch bestraft werden kann, weil durch die Ermittlungen keine Verjährung eintritt“, sagt Richter Walter Eichinger, Sprecher des Landesgerichtes Linz.

Mordversuch?

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Linz, die heute für den Fall zuständig ist, unter dem Aktenzeichen 30 UT 46/02s bezieht sich primär auf „Vorsätzliche Gefährdung durch Sprengmittel“, sagt Pressesprecher Reinhard Steiner. Aber auch ein mehrfacher Mordversuch kann nicht ausgeschlossen werden. „Das können die Ermittlungen noch ergeben, wenn wir einen Täter haber“, sagt ein Kriminalist. „Leider kann uns in diesem Fall aber nur ein Zufallstreffer helfen“. Als Motiv der Tat war damals eine Fehde unter Ex-Jugoslawen oder auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht auszuschließen.

Wer weiß davon noch?

Unter den heute tätigen Polizeibeamten kennt kaum noch jemand den dramatischen Fall, wie der OÖ-KURIER recherchierte. Eine Tatsache, die damalige Ermittler frustriert: „Es könnte ja sein, dass sich bei einer Hausdurchsuchung oder in einem anderen Zusammenhang eine „M 75“ findet, aber niemand mehr an den Anschlag denkt. „Ich glaube auch, dass es kaum mehr jemanden interessiert“, sagt Elvin, denn die Polizei hat ja in der Zwischenzeit mit ganz anderen Problemen wie dem radikalen Islamismus zu kämpfen, und die Konflikte von 1991 bis 1998 in Ex-Jugoslawien sind längst vergessen.

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