"Täterbiografien können belasten"

"Täterbiografien können belasten"
Heidi Kastner ist die Koryphäe für Gerichtsgutachten. Crime Stories weckten ihr Interesse an dem Beruf.

Im Herbst 2008 wurde Heidi Kastner schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Chefärztin der forensischen Abteilung in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg hat im Amstettner Inzestfall 25 Stunden mit Josef F. gesprochen und das Gerichtsgutachten erstellt. In der Causa der des Doppelmordes verdächtigten Estibaliz C. wird sie ebenfalls ihre Analysen abgeben.

Berufswunsch

Ursprünglich wollte Kastner gar nicht Psychiaterin werden, sondern Gerichtsmedizinerin oder Pathologin. "Als ich mit 14 Jahren das erste Mal in England war, gab es dort gut recherchierte True-Crime- Stories über Aufsehen erregende Morde. Ich habe dann einen halben Koffer dieser Geschichten mit nach Hause genommen", berichtet die 49-jährige Linzerin über ihr gewecktes Interesse an einem Beruf im Gerichtsumfeld. Nach ihrem Medizinstudium habe es aber wenig Ausbildungsplätze für diese Bereiche gegeben und sie sei eher zufällig in die Psychiatrie-Ausbildung geraten. Nach der Ausbildung im Wagner-Jauregg-Krankenhaus bewarb sie sich als Psychiaterin und Konsiliarärztin in der Justizanstalt Garsten. Bei ihrem Vorstellungstermin sei der Anstaltsleiter zunächst skeptisch gewesen, weil er einer Frau diese Arbeit im Gefängnis nicht zugetraut habe.

Begeisterung

Bereits beim ersten Häftling habe sie gewusst, dass sie in diesem Umfeld weiter arbeiten wolle. "Die Geschichte dieses Delikts war aus forensischer Sicht eine echte Besonderheit." Ein Mann aus gutem Hause, der auch ein Restaurant besaß, ging gemeinsam mit seiner Frau auf Einbruchstouren. Nach langen Gesprächen habe sie herausgefunden, dass die beiden einen Kick gesucht haben, um die Spannung in ihrer intimen Beziehung zu erhöhen. "Ich habe mir gedacht, dass ich solche Geschichten bisher nur aus der einschlägigen Literatur kenne", erzählt Kastner.
Probleme mit den Häftlingen habe sie nie gehabt. Nie sei sie von ihnen untergriffig angeredet worden. "Das hängt auch davon ab, wie man sich präsentiert", ist die Primaria überzeugt. Ängstlich dürfe man als Forensikerin nicht sein. "Außerdem braucht es ein Gespür für die Menschen und die Fähigkeit, klar und analytisch zu denken." Das Erstellen von Gutachten sei manchmal ein besonders intensiver und auch ermüdender Prozess. Sie müsse nicht nur die Worte, sondern auch die Gestik und Mimik der Klienten, also den Menschen in seiner Gesamtheit, erfassen.
Obwohl sie sich im Laufe ihrer 13-jährigen Tätigkeit als Forensikerin, in der sie bis zu 1500 Gutachten erstellt hat, schon an die Grausamkeit vieler Verbrechen gewöhnt habe, erlebe sie immer wieder Fälle, die ihr nahe gehen würden. "Biografien der Täter sind oft sehr belastend, vor allem die Lebensbereiche, die sie nicht eigenverantwortlich mitgestalten konnten", verweist sie auf die oftmals sehr schwierige Kindheit von Gewaltverbrechern. Auch der Amstettner Inzestfall habe sie mitgenommen. "In diesem Keller war es unvorstellbar. Unglaublich, was es heißt, dort 24 Jahre eingeschlossen zu leben."

Marmelade

Eine Frage, die sich ihr nicht stellt, ist jene nach ihrer Work-Life-Balance, also nach Ausgleichsaktivitäten zum Beruf, und das trotz einer Vielzahl von Arbeitsplätzen. "Ich denke schon einmal, während ich Marillenmarmelade einkoche, über ein berufliches Problem nach, ohne das als belastend zu erleben."

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