Tabakfabrik: Eine Utopieturbine im „Haus der harten Hintern“

Tabakfabrik: Eine Utopieturbine im „Haus der harten Hintern“
Der riesige türkis-weiße Stahlskelettbau soll Schmelztiegel der Kreativen werden.

Seine Arbeit im „Haus der harten Hintern“ mit seinen weiten Gängen, unzähligen Stiegen und verschlungenen Verbindungsgängen im Untergrund macht Chris Müller sichtlich Spaß. „Ich bin jedes Mal, wenn ich durch die ehemalige Tabakfabrik gehe, voll motiviert“, sagt der künstlerische Leiter des riesigen Komplexes in Linz, während seine Augen leuchten. Gemeinsam mit seinem Team sorgt er als Koordinator der Zwischennutzung dafür, dass sich die altehrwürdigen Gemäuer des 80.000 großen Industriegebäudes von Peter Behrens, das 1935 eröffnet wurde, mit Leben füllen. Wer in dem Haus, das der Stadt Linz gehört, einziehen will, muss Müller überzeugen.

Das wichtigste Kriterium: „Die Mieter müssen voneinander profitieren.“ Derzeit arbeiten auf dem Areal rund 80 Menschen aus dem Kreativ- und Kulturbereich. So haben sich die Tanzinitiative RedSapata, die Tüftler von Ars Electronica Solutions oder die Plattform Creative Region angesiedelt. Letztere hat eine Studie in Auftrag gegeben, die den Ausbau zum Leuchtturm der oberösterreichischen Kreativwirtschaft empfiehlt – ganz im Sinne Müllers.

Die Vision geht noch weiter: „Wir wollen der Ort Null sein, wo vieles beginnt. Hier soll vieles entstehen, nur keine Monokultur.“ Deshalb sollen sich die vier Säulen Kreativität, Soziales, Arbeit und Bildung etablieren. Der Ort sei eine Utopieturbine und werde ein Jobgenerator. Aktuell gebe es weit mehr Anfragen von Interessenten, als Flächen für Arbeitsräumlichkeiten umgewidmet sind. „Das Gebäude hat mehr Dimensionen für New York als für Linz, da muss man etappenweise vorgehen.“

Arbeitsort

Wie soll der Endzustand des Areals aussehen? „Ich möchte, dass das ein absolut produzierender Ort wird, der sich ständig erneuert.“ Und dafür sei der weiß-türkise Stahlskelettbau der richtige Ort, weil es für Veränderungen angelegt wurde. „Behrens hat die Räume so groß geplant, weil sich der Maschinenpark der Fabrik immer änderte und man die Geräte hin- und herschieben konnte.“ Derzeit werde die Fabrik hauptsächlich mit Kultur in Verbindung gebracht. „Kunst ist die Speerspitze, aber soll eben nicht die einzige Sparte sein.“ Nachsatz: „Sie zieht die vielen Menschen an.“ Mehr als 100.000 waren es im vergangenen Jahr, die zu 125 Veranstaltungen von Ausstellungen bis zu Techno-Partys kamen. Alleine die große Porsche-Schau lockte 52.000 Gäste an.

Überhaupt wünscht er sich, dass sich die „Tschickbude“ als Freiraum etabliert. Beim Stiegensteigen schüttelt Müller eine Passage aus Bert Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ aus dem Ärmel: „Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“ Und er gibt eine auf Linz heruntergebrochene Antwort: Jene, mit deren Steuern das Gebäude gekauft wurde, sollen sich hier tummeln. „Das Areal war 160 Jahre eine verbotene Stadt. Da passt es, dass im kommenden Jahr eine Schau über die Terrakotta-Armee des Kaisers von China kommt.“

Fotos von Picturenews.at

Die Haartolle sitzt perfekt wie der schwarze Anzug, unter dem bunte Tätowierungen hervorblitzen. Müsste man das Aussehen Chris Müllers, des künstlerischen Leiters der Tabakfabrik Linz, beschreiben, fielen wohl Vergleiche zu Johnny Cash. Schwierig wird es, soll man seine Aktivitäten einer Berufsbezeichnung zuordnen.
Denn der 39-Jährige ist Künstler, Kulturmanager, Dokumentarfilmer, Theatermacher in Personalunion. Daneben ist er auch noch Inhaber des Unternehmerbriefs für Gastronomie. Dabei war der Weg des „Man in Black“, der seit einem Jahr für die Geschicke in der „Tschickbude“ zuständig ist, in die Kreativwelt nicht vorgezeichnet. „Der Start ins Kulturleben war eher holprig. Ich war der schlechteste Schüler Oberösterreichs“, erzählt er lachend.

Der Künstler stammt aus einer Bergarbeiterdynastie aus Ottnang am Hausruck. „Studieren war kein Thema.“ Müller absolvierte eine Lehre als Tischler und Treppenbauer. Zufrieden war er nicht. „Ich wollte immer weg.“ Nach der Ausbildung ging es nach Griechenland, wo sich Müller in eine Berlinerin verschaute. „Sie war eine echte Frau und hat mir, dem Burschen aus der Provinz, eine andere Welt eröffnet.“

Ihr reiste Müller in die Spree-Metropole nach, wo er Schauspieler und Musiker kennenlernte. „Anders als in Österreich, wo ich der Schräge war, hat man so etwas hier goutiert.“ Es folgten mehrere wilde Jahre als „Roadie (ein mit Bands mitreisender Techniker, Anm.) und Rowdy“, bevor Müller wieder nach Österreich zurückkehrte.


Bürgerkrieg

An der Linzer Kunstuni studierte er Bildhauerei und Kulturwissenschaften. Dort entwickelte sich auch aus einem Projekt das „Theater Hausruck“, dessen Intendant er lange war. Im Jahr 2005 stand erstmals im ehemaligen Kohlebrecher Kohlgrube das Stück „Hunt“ aus der Feder Franzobels über den Bürgerkrieg 1934 in der Region am Programm. „Mir war klar, es geht um meine Familie. Meine Urgroßmutter hat immer gesagt: ‚Was Lourdes für Christen, ist der Hausruck für Sozialisten‘“, erzählt Müller, der noch immer in dieser Gegend stark verwurzelt ist. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt er in Thomasroith in einer umgebauten Bergarbeiterbarracke.

Weitere Stücke wie „Zipf“ über das gleichnamige KZ-Nebenlager und Nestroy-Theaterpreise folgten. Dann kam im vergangenen Jahr ein Anruf vom Linzer Stadtrat Johann Mayr, der ihm die Leitung der Tabakfabrik anbot. Für den Künstler, der sich nie Aufträge ablehnen traute, war das eine große Chance. „Nach zwölf Jahren prekären Künstlerlebens habe ich nun ein geregeltes Einkommen.“

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