Sorgfältig werden die Tomaten begutachtet, die schönsten wandern in den Korb. Und weiter geht es zwischen den Regalen. Gesprächig sind hier im Sozialmarkt (SOMA) in der Wiener Straße in Linz nur die wenigsten. Entweder gibt es die Sprachbarriere oder die Scham. „Wir erklären den Menschen, die zu uns kommen, dass sie mit ihrem Einkauf hier auch Gutes tun. Sie retten Lebensmittel vor dem Müll und sie sichern Arbeitsplätze. Wir verteilen hier keine Almosen, die Menschen zahlen für die Ware und sind somit Kunden.“
Und diese Kunden wurden in den vergangenen Monaten immer mehr, wie SOMA-Standortleiter Manfred Kiesenhofer dem KURIER erzählt.
Kiesenhofer arbeitet seit 14 Jahren bei SOMA, er ist Standortleiter der drei Linzer Märkte, die aktuelle Entwicklung hat er genau im Blick: „Wir haben eine Steigerung der Kundenfrequenz um 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das hängt zum einen mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt, mit den Teuerungen, aber speziell auch mit dem Krieg in der Ukraine zusammen.“
Bester Zustand
Im Sozialmarkt können alle einkaufen, die weniger als 1.350 Euro netto pro Monat verdienen (für einen Zwei-Personen-Haushalt gelten 1.900 Euro), der Ausweis wird für ein Jahr ausgestellt. Wer im SOMA einkauft, bekommt Lebensmittel, die im Handel nicht mehr verkauft, aber in bestem Zustand sind. Es kann sich um Produkte aus Überproduktion, mit Transportschäden, nahe am oder knapp über dem Mindesthaltbarkeitsdatum handeln.
„Wir müssen so gut wie nichts wegschmeißen. Alles, was bald zu verbrauchen ist, kommt in unsere Küche und wird dort sofort verwertet.“ Über dem Markt gibt es nämlich ein Lokal, in dem täglich rund 150 dreigängige Mittagsmenüs um 50 Cent ausgeben werden. „Das ist ein Ort der Ruhe und der Begegnung. Da kommen Menschen aus der Notschlafstelle genauso wie Pensionisten“, sagt Kiesenhofer.
Dreimal pro Woche darf im Sozialmarkt einkaufen, wer die Kriterien erfüllt. Zehn Euro sind die Grenze, das ist vergleichbar mit einem Supermarkt-Einkauf von 40 bis 60 Euro. Kinderreiche Familien dürfen mehr mitnehmen. Bei den Grundnahrungsmitteln sei man weit unter den handelsüblichen Preisen, zehn Semmeln kosten zwischen 20 und 40 Cent.
Keine Bewertung
Wer kommt denn in den SOMA einkaufen? „Ein Drittel junge Menschen, alleinerziehende Mütter, Migranten. Ein Drittel Durchschnittsfamilien, viele davon mit Migrationshintergrund und ein Drittel Österreicherinnen und Österreicher“, erklärt der Leiter. „Ich habe schon lange aufgehört, das Aussehen von Menschen zu bewerten. Manche erzählen uns ihre Geschichten. Und beizeiten rührt es mich zu Tränen, wenn ich sehe, dass sich Menschen an der Kassa überlegen müssen, ob sie sich dieses oder jenes Lebensmittel um 20 Cent leisten können.“ Es sei wichtig, so Kiesenhofer, jedem Menschen, der in den SOMA kommt, mit Achtung, Respekt und Anerkennung zu begegnen.
Fünf Personen sind fix in Vollzeit angestellt, sechs Teilzeitkräfte gibt es auch und dann noch 40 bis 60 ehrenamtliche Mitarbeiter. Rosemarie B. ist eine von ihnen, sie etikettiert soeben neu angekommene Ware und schlichtet sie ins Kühlregal: „Ich bin in Pension und arbeite hier einen Tag pro Woche mit. Das gibt Sinn und Befriedigung. Wenn ich abends die Beine hochlege, weiß ich, dass es etwas Sinnvolles getan habe.“ Zum Reden mit den Kundinnen und Kunden bleibe nicht so viel Zeit, „aber ich beantworte sehr viele Fragen.“ Vor allem im vergangenen Jahr sei zu bemerken, dass viel mehr Menschen hierher einkaufen kommen.
Hintergrund
Lebensmittel
Mehr als 1.000 Tonnen Lebensmittel werden pro Jahr bei SOMA in Linz umgesetzt, an drei Standorten kaufen täglich rund 600 Menschen ein
Kunden
Derzeit sind 24.000 Kunden registriert, alleine im vergangenen Jahr wurden 1.500 neue Kunden registriert
Logistik
Mehr als 80 Supermärkte werden täglich angefahren, um Waren abzuholen und in die SOMAs zu bringen
"Damit sich alles ausgeht"
„Ich bin jetzt 82 Jahre alt und Mindestpensionist. Deswegen kaufe ich fast jeden Tag hier im Sozialmarkt ein“, erzählt Rudi Varga. Das Angebot sei abwechslungsreich, es sei immer alles da, was man brauche, „und da ich alleinstehend bin, ist das ja nicht viel.“ Gemüse, Obst, Brot, Kaffee und Getränke kauft Varga im Sozialmarkt in Linz ein. „Und damit sich alles ausgeht, verdiene ich mir nebenbei auch noch ein bisserl was dazu. Ich kaufe und verkaufe Reifen, bin auch auf Flohmärkten unterwegs.“
Seit sechs Monaten leben Iryna Pevnieva und Lubov Borosenez in Oberösterreich, sie sind vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet. Ein, zwei Mal pro Woche kommen sie vorbei, in ihre Körbe packen die Frauen Obst, Brot, Gemüse, Joghurt und Käse. Mit dem Angebot sind sie sehr zufrieden, „ich treffe mich hier auch mit anderen Frauen zum Mittagessen“, erzählt Borosenez.
"Immense Mehrkosten"
Als der Verein 1999 gegründet und danach der erste Sozialmarkt in Linz eröffnet wurde, war das Pionierarbeit. Es gab damals nichts Vergleichbares in ganz Österreich. Bis heute organisieren sich die acht SOMA-Märkte in Oberösterreich als nicht gewinnorientierter Verein, erhalten auch keine Förderungen von Bund oder Land. „Was wir machen: Wir arbeiten mit dem Magistrat Linz zusammen und bekommen Langzeitarbeitlose oder Menschen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung in unser Team, die bis zu drei Jahre mitarbeiten. Das Ziel: Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“, so Standortleiter Manfred Kiesenhofer.
Er sei ein positiver Mensch, aber die Mehrkosten, die nun auf den Verein zukommen würden, seien sehr hoch und es sei noch keine Lösung in Sicht.
Die Teuerungen bei Miete, Strom, Gas, Betriebskosten, für die Transporte und Fahrzeuge werden gesamt rund 145.000 Euro ausmachen. „Woher soll das Geld kommen? Wir können das ja nicht auf die Lebensmittel, die wir verkaufen, umlegen. Die Leute spüren auch, wenn etwas 10 oder 20 Cent mehr kostet“, sagt Kiesenhofer.
Deswegen gebe es derzeit Gespräche mit Soziallandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer, wie es denn in Zukunft weitergehen könne.
Kommentare