"Pandemien kommen normalerweise in zwei bis drei Wellen"
Er ist derzeit ein gefragter Mann. Der Österreicher Florian Krammer ist seit 2018 Professor am Department of Microbiology an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Der Virologe mit eigenem Labor warnt im KURIER-Interview vor einer zweiten Welle der Corona-Pandemie und erklärt, was die Menschheit aus dieser Situation lernen kann.
Wie erleben Sie die aktuelle Lage in New York? Und woran arbeiten Sie derzeit?
In New York wird die Situation momentan besser. Wir hatten eine starke Epidemie mit vielen Infizierten und Toten, konnten die Kurve aber abflachen und es wird momentan von Tag zu Tag besser. Natürlich sind hier alle noch im „Lockdown“, aber es wird vermutlich im Mai zu Lockerungen kommen.
Wir arbeiten daran, die Immunantwort gegen das Virus besser zu verstehen. Es geht vor allem, darum rauszufinden, ob man nach einer Infektion geschützt ist. Wir nehmen das an – basierend auf Daten von anderen Coronaviren. Aber wir müssen das natürlich auch zeigen.
Wie weit sind wir entfernt von einem adäquaten Medikament zur Behandlung von Covid-19? Und wie lange wird es dauern, bis es einen Impfstoff geben wird?
Remdesivir (ein experimenteller, noch nicht als Arzneimittel zugelassener Wirkstoff, Anm.) zeigt einen Effekt, wenn auch vielleicht nicht so stark wie erwünscht. Es wird aber sicher noch weitere Medikamente geben, es sind viele in Entwicklung.
Das Problem ist, dass am Anfang zwar das Virus die Lunge angreift, aber im Spätstadium der Infektion das eigene Immunsystem den Schaden anrichtet. Aber auch dafür kann man effektive Wirkstoffe finden. Einen Impfstoff wird es vermutlich Anfang 2021 geben. Da geht in der Entwicklung gerade einiges weiter, mit sechs Kandidaten, die jetzt schon in der Klinik erprobt werden.
Haben Sie als Virologe eine derartige weltweite Epidemie kommen sehen? Haben Sie mit solch hohen Zahlen an Infizierten und auch Toten gerechnet?
Ja, natürlich. Es gibt etwa alle 20 bis 30 Jahre eine Influenza–Pandemie. Dass wieder was kommen wird, war klar. Und mit SARS und MERS haben wir ja zwei Warnungen erhalten – aber uns eben nicht wirklich gut vorbereitet.
Ja, ich bin sogar sehr froh darüber, dass es noch nicht so viele Tote gibt.
Das könnte noch viel schlimmer ausgehen. Während der Pandemien 1918, 1957 und 1968 gab es Millionen Tote. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Sache noch nicht vorbei ist. Momentan kommt mir das so vor, als würde ich einen Horrorfilm schauen, in dem alle glauben, das Monster ist tot – aber es kommt dann halt zurück.
Wie bewerten Sie die Maßnahmen in Österreich? Top, Flop oder gute Mitte?
Top, mit ein paar Patzern. Aber Patzer sind normal.
Was müssen Länder beachten, die jetzt Maßnahmen lockern und schön langsam wieder zum Alltag übergehen?
Man muss das alles sehr langsam machen und schauen, ob die Fallzahlen wieder steigen. Vor allem steigen die natürlich zeitverzögert, was die Sache gefährlich macht. Und man muss so viel wie möglich testen und wenn wieder Fälle auftauchen ein gutes „contact tracing“ machen.
Thema Kinder: Zuerst hieß es, Kinder sind die schlimmsten Multiplikatoren, aktuell ist der Stand der Wissenschaft, dass Kinder das Virus nicht intensiver verbreiten als Erwachsene. Was stimmt denn nun?
Das wissen wir nicht genau. Kinder können sich auf jeden Fall infizieren, haben aber oft weniger schwere Krankheitsverläufe oder diese sind asymptomatisch. Das macht sie natürlich sozusagen zu trojanischen Pferden. Man muss da extrem aufpassen, wenn man die Schulen wieder aufmacht.
Wie bewerten Sie die Immunität von Covid19-Genesenen? Auch hier gibt es widersprüchliche Aussagen. Haben sie nun einen Schutz vor einer erneuten Ansteckung oder nicht?
In unseren Studien haben 99.5 % der Infizierten eine Antikörperantwort entwickelt. Wir müssen jetzt natürlich zeigen, dass diese Antikörper schützen.
Wir wissen schon, dass sie das Virus neutralisieren können, aber man muss jetzt schauen, wie lang die Antikörperantwort anhält und ob sie schützt. Wenn man sich andere humane Coronaviren anschaut, ist da ein Schutz für etwa ein bis drei Jahre gegeben. Wir werden sehen.
Rechnen Sie mit dem Ausbruch einer zweiten Welle, in Österreich und auch in Amerika?
Ja. Pandemien kommen normalerweise in zwei bis drei Wellen.
Wie groß ist derzeit der Druck auf Forscher wie Sie, Ergebnisse bezüglich eines Impfstoffes abzuliefern?
Wir arbeiten rund um die Uhr, mein Team im Labor arbeitet wirklich sehr hart. Aber ich glaube, viel von dem Druck machen wir uns selber. Man will halt helfen. Und wenn ein Virus eine Pandemie verursacht, dann müssen’s halt die Virologen richten. Wie bei einem Rohrbruch der Installateur.
Was kann und muss die Menschheit aus einer Situation wie dieser lernen?
Man sollte hier und da ein paar Milliarden in Vorbereitung auf Pandemien investieren. Das war nicht die erste und wird nicht die letzte sein.
Aber wenn wir uns gut vorbereiten (zum Beispiel mit Impfstoffen), kann man so etwas eher abfangen. Diesmal waren wir komplett unvorbereitet, obwohl bekannt war, dass diese Viren entsprechendes Gefahrenpotenzial haben.
Erklären Sie uns doch zum Abschluss noch bitte kurz, wie es Sie von Österreich nach Amerika verschlagen hat.
Ich hab an der BoKu (Universität für Bodenkultur, Anm.) in Wien bei der Frau Professor Grabherr meine Dissertation an Influenzaimpfstoffen gemacht.
Und dann wollte ich meine weitere Ausbildung in einem erstklassigem Influenzalabor machen. Ich habe mich bei Professor Peter Palese, der ursprünglich aus Linz kommt, in New York beworben und habe relativ schnell mein eigenes Labor gegründet.
Wir, mein Team und ich, forschen vor allem an universellen Influenzaimpfstoffen, also an Stoffen, die uns vor kommenden Influenzapandemien schützen sollen.
Zur Person
Ausbildung. Florian Krammer wurde 1982 in der Steiermark geboren. Nach seinem Studium kam er 2010 an die Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, wo er im Labor von Peter Palese, einem der angesehensten Virologen weltweit, arbeitete. Palese selbst maturierte am Akademischen Gymnasium, seinen Eltern gehörte die Hofstätter-Apotheke am Linzer Hauptplatz.
Beruf. Seit 2018 ist Krammer dort Professor am Department of Microbiology. Sein Lebenslauf mit Veröffentlichungen und Auszeichnungen ist 28 Seiten lang.
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