"Opfer haben sich in ihre Situation hineinergeben"

Zwei Psychologen versuchen die Situation der Opfer zu erklären.

Wie konnte der schwere Fall von Inzest 41 Jahre lang im Verborgenen bleiben, bis das Martyrium aus den Schwestern herausbrach? Die Linzer Psychiaterin Heidi Kastner benennt das Wegsperren der Opfer als geschlossenes System, in dem der Täter mit Drohungen, Gewalt und Manipulationen ungestört agieren konnte.

"Wenn sexueller Missbrauch seit der Kindheit präsent ist, können Opfer das nicht verdrängen. Diese Methode funktioniert auch bei geistig beeinträchtigten Menschen nicht." Die Betroffenen seien abhängig gewesen, "haben sich in ihre Situation hineinergeben. Aus panischer Angst vor dem Unbekannten.

Täter können Opfern gezielt vermitteln, dass sie allein auf sich gestellt inkompetent und heillos überfordert wären. Bei Minderbegabten fällt das noch leichter, wenn sie sich nie ein eigenes Bild von der Welt da draußen machen durften." Die Schwestern seien isoliert gewesen, in keiner Behindertenwerkstatt, ohne Sozialkontakte.

Dieses Abhängigkeitsphänomen kenne man auch von Beziehungen mit einem Prügelpartner, "wo Frauen dennoch in diesem System verharren".

"Leibeigenschaft"

Kastner war Gutachterin im Fall Josef Fritzl. Vergleiche mit dem aktuellen Fall stellt sie nicht an. "Gewalttäter im familiären Bereich stellen Dominanzansprüche. Alle sind ihm untertan, jeder ist für ihn verfügbar. Die Familie wird als Leibeigenschaft betrachtet."

Hinterfragenswert ist für Kastner die Rolle der Mutter, die 2008 gestorben ist. "Sie hat nicht nur diese Welt gekannt, eine Zeit ohne diesen Mann gelebt. Dass sie ihre Kinder nicht schützen konnte, lässt den Schluss zu, dass auch sie sich in dieses System gefügt hat." Nur in den besten aller Welten würden Mütter ihre Kinder schützen und Väter ihre Töchter nicht missbrauchen.

Der Grazer Psychologe Roland Bugram bezeichnet den Inzestvater als Psychopathen. "Solche schwer abnormen Persönlichkeiten zeichnet großes Planungsvermögen aus. Nach außen hin wird die heile Welt vorgegaukelt, im Inneren werden willensschwache Menschen beherrscht."

Das Trauma der Opfer

Und niemandem in der Umgebung fällt etwas auf? "Am Land herrschen oft andere Gesetzmäßigkeiten. Da heißt es schnell, die Familie schaut eh gut auf die behinderten Kinder, weil sie nicht weggegeben wurden."

Die traumatisierten Opfer hätten noch Funken von Hoffnung, sich von ihren Qualen herauszulösen. "Aber es wird schwer, sie auf die Realität vorzubereiten und ihr Vertrauen zu gewinnen." Angst vor dem Unbekannten: So sei es Natascha Kampusch ergangen, auch Fritzls Tochter und ihren Kindern.

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