Das Urteil im Kellermayr-Prozess sorgt für Diskussionen. Alois Birklbauer, Strafrechtsexperte an der JKU Linz, plädiert für eine Neuregelung bei Drohungen im Internet.
Experte zu Kellermayr-Prozess: Urteil nicht überraschend
Der dreiköpfige Schöffensenat, bestehend aus der Richterin sowie einer Frau und einem Mann, hat weder eine Vorhersehbarkeit noch eine Kausalität der Drohungen des Mannes - er hatte Kellermayr angekündigt, sie vor ein "Volkstribunal" zu bringen - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen können.
Für Alois Birklbauer, Professor für Strafrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz, kam das Urteil nicht überraschend. "Die Drohung muss ein wesentliches Puzzle und im kausalen Zusammenhang mit dem Suizid sein", bekräftigt er die Urteilsbegründung der Richterin, die genau darin ihre Zweifel gesehen hat.
Wobei Birklbauer überzeugt ist: "Hätte der Angeklagte die Drohungen aus Österreich abgeschickt, wäre der Mann wegen gefährlicher Drohung verurteilt worden."
Nur gibt diese Möglichkeit das österreichische Strafrecht nicht her.
"Über Novelle des Strafrechts nachdenken"
Deshalb schlägt er vor, über eine Nachjustierung der gesetzlichen Bestimmungen zur gefährlichen Drohung, die aus dem Jahr 1975 stammen, nachzudenken - analog zum Verbotsgesetz: "Da wurde bei einer Gesetzesnovelle Widerbetätigung auch aus dem Ausland strafbar gemacht."
Gerade bei Hass im Netz, bei gefährlichen Drohungen, sei es aus seiner Sicht angebracht, Delikte, die aus dem Ausland an Opfern in Österreich begangen werden, in Österreich strafbar zu machen.
Was Birklbauer nicht glaubt: Dass der zweite Drohbriefschreiber, der unter dem Namen "Claas" Mordphantasien an Kellermayr gerichtet hat, ebenfalls mit einem Freispruch rechnen könnte, so er gefasst werde.
In diesem Fall könnte die Frage der Kausalität, also der direkten Verantwortung für den Suizid Kellermayrs, vom Gericht anders beurteilt werden, ist er überzeugt - selbst die Verteidigung des 61-jährigen Deutschen hat diesem Drohbriefschreiber immer mehr Bedeutung für die Angstzustände Kellermayrs zugeschrieben.
"Täter-Opfer-Umkehr war schräg"
Was den Strafrechtsexperten an diesem Fall aber am meisten stört: "Die Täter-Opfer-Umkehr war schon schräg bei diesem Prozess." Denn einerseits sollte man den Opferschutz anders denken - aus seiner Sicht seien zu viele persönliche Details des Opfers an die Öffentlichkeit gelangt.
Für noch problematischer hält er den Umgang mit Kellermayr insgesamt. "Die Frau hatte eine Meinung", resümiert Birklbauer, "der Vorschlag, sie solle ihre Meinung nicht äußern, damit sie nicht mehr bedroht wird, ist eine Einschränkung der persönlichen Freiheit."
"Menschen, die ihre Meinung sagen, unterstützen"
Dass selbst Institutionen wie Polizei und Ärztekammer mit diesem Rat an Kellermayr herangetreten sind, halte er für falsch: "Sind wir doch froh, dass es Menschen gibt, die mutig ihre Meinung sagen." Diese müssten viel mehr unterstützt werden, sagt er, und fügt seine persönliche Erfahrung an.
"Ich werde nach Interviews immer wieder bedroht, sehr oft unter der Gürtellinie. Da fragt man sich, warum man sich das antut", sagt Birklbauer, um gleich die Antwort zu geben: "Ich will das Feld nicht allen anderen überlassen. Da halte ich schon etwas aus."
Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums.
Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u.a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie/Gewaltschutzzentrum Wien: www.interventionsstelle-wien.at und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133).
Auch Fiorentina Azizi-Hacker, Leiterin der Zara-Beratungsstelle gegen Hass im Netz, setzt an diesem Punkt an: „Das Signal durch das Urteil ist zweifach problematisch. Hass im Netz hat keine Konsequenzen, und Betroffene bekommen das Gefühl, nicht gehört zu werden.“
Die Gefahr des „Silencings“ steige – also, dass sich Menschen aus dem Netz zurückziehen, um nicht Attacken ausgesetzt zu werden. Gerade Frauen würde da häufig zurückschrecken: „Viele Betroffene wollen sich einem Prozess nicht aussetzen.“
Vor allem, weil oft eine Schuldumkehr passiere. Deshalb rät sie allen Betroffenen, sich „in so einer belastenden Situation Hilfe zu holen“. Und die Gesellschaft müsse Personen schützen, die im Internet bedroht würden.
Wäre auch in Deutschland strafbar
Aber zurück zum freigesprochenen Angeklagten. Wie in Österreich wäre der Angeklagte wegen gefährlicher Drohung auch in Deutschland strafbar. Dass es zu einer Verurteilung kommen muss, ist für Birklbauer nicht zwingend nötig. Hier gehe es um eine Gesamtschau, auch der Prozess in Österreich müsse miteinbezogen werden, ob der Mann in Deutschland weiter verfolgt werde.
Das bei der Generalstaatsanwaltschaft München geführte Ermittlungsverfahren war vorläufig eingestellt worden. Sobald eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung aus Wels vorliege, werde die Wiederaufnahme der Ermittlungen geprüft, hieß es gegenüber der Apa am Donnerstag.
Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft wies aber darauf hin, dass derzeit über die Entscheidung zur Wiederaufnahme noch nichts gesagt werden könne, „da hierfür eine Kenntnis der Urteilsgründe des rechtskräftigen Urteils aus dem österreichischen Strafverfahren erforderlich ist“. Noch ist der Freispruch nicht rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft Wels keine Erklärung abgab.
Für Birklbauer hat das in Österreich abgeführte Verfahren jedenfalls bereits eine bestrafende Wirkung. "Und der Mann wird auf einer erheblichen Teilsumme der Anwaltskosten sitzen bleiben", ist Birklbauer überzeugt. Denn bei einem derartigen Verfahren könnte er maximal 30.000 Euro Entschädigung erhalten, weiß Birklbauer: "Aber so viel wird er nicht bekommen."
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