Österreichische Fluchthilfe an der deutschen Grenze

Die letzten Kilometer geht es zu Fuß: Täglich marschieren Dutzende Flüchtlinge von Julbach (Oberösterreich) ...
Tausende Flüchtlinge werden im Mühlviertel auf ihren Weg nach Bayern vorbereitet – dort ist man sauer.

Die Bevölkerung braucht keine Angst vor den Flüchtlingen zu haben , sie sind friedlich und für jede Hilfe dankbar. Sie wollen so schnell wie möglich Deutschland erreichen", heißt es auf der Internetseite der Gemeinde Julbach im Oberen Mühlviertel. 10.000 Flüchtlinge sind dort in den vergangenen Wochen angekommen. Fast alle von ihnen sind weitergezogen – in die Nachbargemeinde Breitenberg in Bayern.

Vor der Stockschützenhalle der Sportunion Julbach warten am Dienstagvormittag Polizisten, Rot-Kreuz-Helfer und Freiwillige auf Neuankömmlinge. Sie werden mit Bussen des Innenministeriums aus der Steiermark und dem Burgenland nach Oberösterreich gebracht, oft direkt von der Grenze in Nickelsdorf. Kontrolliert oder registriert wird niemand. "Das ist so angeordnet", lautet die knappe Auskunft eines Polizisten.

Österreichische Fluchthilfe an der deutschen Grenze
Asyl-Reportage Julbach (OÖ) / Breitenberg (Bayern), Flüchtlinge
Das Notquartier, wo es Verpflegung und Schlafplätze für bis zu 250 Personen gibt, ist beinahe leer. "Die meisten Flüchtlinge brechen in der Früh zu Fuß nach Deutschland auf", sagt Mansour Rastegar, der ehrenamtlich als Dolmetscher arbeitet. Länger als eine Nacht sei selten jemand hier. "Manche gehen sofort los, wenn sie aus dem Bus ausgestiegen sind."

"Die größten Schleuser sind die Österreicher"

An die Flüchtlinge verteilt Rastegar Kopien einer Landkarte, auf der der Weg nach Bayern eingezeichnet ist. 6,5 Kilometer sind es von Julbach auf einer schmalen Landstraße, die vorbei an Bauernhöfen und Viehweiden führt. Bis vor einigen Tagen hatten die Julbacher den Weg nach Deutschland noch genau beschildert, mit schwarz-rot-goldener Flagge und "Germany". Die Tafeln sind mittlerweile weg, weil sie in Bayern für böses Blut sorgten. "Die größten Schleuser sind die Österreicher", meinte Josef Lamperstorfer, Bürgermeister von Wegscheid, in der Süddeutschen Zeitung.

Österreichische Fluchthilfe an der deutschen Grenze
Asyl-Reportage Julbach (OÖ) / Breitenberg (Bayern), Flüchtlinge
"Die Flüchtlinge werden von der österreichischen Regierung ganz gezielt in die Grenzregion gebracht, weil man weiß, dass die alle nach Deutschland wollen", sagt Kreisrat Klaus Weidinger von der CSU. "So kann es aber nicht weitergehen. Wir können hier in Deutschland nicht die ganze Welt retten".

Auch im Kleinen sind die Österreicher offenbar gute Fluchthelfer. Weidinger berichtet von Einheimischen, die Asylwerber mit dem Privat-Pkw direkt an die Grenze chauffieren und dort aussteigen lassen.

Fingerabdrücke

Österreichische Fluchthilfe an der deutschen Grenze
Asyl-Reportage Julbach (OÖ) / Breitenberg (Bayern), Flüchtlinge
Das Letzte, was die Flüchtlinge von Österreich sehen, ist eine Brücke, die über den Finsterbach führt. Dann stehen sie vor einer Tafel mit der Aufschrift "Freistaat Bayern". Hundert Meter weiter wartet das nächste Zwischenlager. Hier wird das Gepäck durchsucht. Die deutsche Polizei nimmt auch Fingerabdrücke. Fast alle werden hier zum ersten Mal kontrolliert, obwohl sie schon mehrere EU-Länder passiert haben. "Die Dublin-Verordnung interessiert niemanden mehr", sagt CSU-Mann Weidinger. Und auch mit der Solidarität unter den EU-Mitgliedsstaaten sei es nicht weit her.

Dass die Nachbarn derzeit mit den vielen Flüchtlingen überfordert sind, kann man im Notquartier in Julbach verstehen. Deutschland sei aber nicht ganz unschuldig an der Situation. Immerhin habe Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, dass alle kommen können.

Wochenlang wurde darüber verhandelt, jetzt ist es fix: Die Stadt Wien übernimmt ab 1. November das bisherige Asylquartier des Bundes in Erdberg (Landstraße). Das gab Flüchtlingskoordinator Peter Hacker am Dienstag bekannt. "Das Quartier wird eine Einrichtung der Grundversorgung in Wien."

Derzeit befinden sich in der ehemaligen Zollamtsschule rund 700 Flüchtlinge. "Darunter befinden viel zu viele Jugendliche, für die das Haus einfach zu groß ist." Sie sollen jetzt in kleinere Unterkünfte verlegt werden, in Erdberg sollen stattdessen vor allem Familien betreut werden. Insgesamt wird die Zahl der Plätze reduziert.

Die Betreuung werden in Wien tätige Hilfsorganisationen übernehmen. Nicht mehr zum Einsatz kommt die Firma ORS, die auch für das Flüchtlingslager Traiskirchen zuständig ist. "Das war eine der Grundbedingungen für die Übernahme", betont die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ).

Einen Monat nach Beginn des enormen Flüchtlingszustroms und wenige Tage vor der Wien-Wahl zieht sie eine erste Bilanz zum zuletzt alles bestimmenden Wahlkampf-Thema: Seit Anfang September sind demnach 170.000 Flüchtlinge durch Österreich gezogen, von denen 130.000 in Wien Station gemacht haben. "Davon haben aber nur rund 2000 einen Asylantrag gestellt. Das sind weniger als zwei Prozent", rechnet Wehsely vor.

Wie viele noch kommen

Für die Übernachtung hat die Stadt rund 8000 Notschlafstellen bereitgestellt. Derzeit wird nur noch ein Teil davon benötigt. Das kann sich aber rasch wieder ändern: "Wir rechnen damit, dass in den nächsten Wochen und Monaten noch einmal so viele Menschen wie seit Anfang September kommen werden", sagt Hacker. Prognosen seien aber wegen mangelhafter Informationen über die aktuelle Situation am Balkan schwierig.

Derzeit befinden sich rund 12.000 Asylwerber in Wien in der Grundversorgung – zu Jahresbeginn waren es 8000. Die Hälfte davon lebt im Familienverband, 3000 sind Kinder und Jugendliche (darunter 700 unbegleitete).

Wien kostet die Grundversorgung dieses Jahr rund 27 Millionen Euro, den Rest der insgesamt 75 Millionen Euro übernimmt der Bund. Die Organisation der Notunterkünfte kostete zusätzliche 25 Millionen Euro, die letztlich auch der Bund übernehmen soll.

Deutschkurse

Ausgebaut wird laut Wehsely vor allem ab Jahresbeginn auch das Angebot an Deutschkursen. Wobei der Unterricht nicht wie bisher erst mit Abschluss des Asylverfahrens beginnen soll. "Denn gerade Minderjährige müssen oft bis zu zwölf Monate warten, bis es überhaupt zur ersten Einvernahme im Verfahren kommt."

Bilanz zieht auch Bürgermeister Michael Häupl – und streut den Wienern Rosen: "Eigentlich müsste die Wiener Bevölkerung den Friedensnobelpreis bekommen", schlägt er angesichts deren enormen Hilfsbereitschaft vor. "Sie hat gezeigt, dass das Goldene Wienerherz nicht steinhart ist."

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