"Gebärende Maria" geköpft: Wieso ist diese Maria ein Skandal?
Auf den Stiegen beim Eingang zum Mariendom in Linz sitzt eine Schülergruppe. Ihr Lehrer erklärt ihnen den Begriff "Dom" und dass die Religionen unterschiedliche Gotteshäuser mit unterschiedlichen Regeln haben.
Eine Regel ist aber überall gleich: Angriffe auf in den Kirchen befindliche Gegenstände sind tabu. Das gilt eigentlich auch für Kunstwerke, die nur temporär in der Kirche sind.
Im Mariendom Linz hat sich jemand nicht an diese Regel gehalten und der "Gebärenden Maria" den Kopf mit einer Säge abgeschnitten. Am Montag zwischen 8.45 und 9.30, also in einer Zeit, in der der Dom stark frequentiert ist.
"Eine Frechheit", sagt eine 16-jährige Schülerin aus Wels, die sich die Nase an der versperrten Türe zum Kunstraum Turmkapelle West im Mariendom platt drückt.
Der Ausflug in den Dom war schon länger geplant, die moderne Marienskulptur hätte das Highlight sein sollen. "Wir haben die Statue und den Raum im ganzen Dom gesucht", sind die Schüler enttäuscht, dass sie nun nicht in den Genuss dieser kontroversiellen Marienfigur kommen.
"Wenn man das nicht sehen will, soll man einfach nicht hingehen, aber doch nicht zerstören", pflichtet ihre Freundin ihr bei.
Der Zerstörung ist eine Welle der Aufregung vorangegangen. Im Domcenter haben es die Bediensteten abbekommen. Schon am Freitag, aber vor allem am Samstag und Sonntag, seien die Beschwerden enorm gewesen. "Jetzt ist es abgeflaut", sagt der Mitarbeiter.
Aber gleich danach fragt ein älterer Herr nach. Auch er will die Statue sehen - selbst, wenn der Kopf ab ist. Immer wieder finden sich Menschentrauben vor der verschlossenen Tür.
Keine Beschwerden gibt es hingegen über die zwei anderen Marienstatuen, die sich im Mariendom befinden.
Wurmstraßenmadonna Mariendom Linz
Pilgermadonna Mariendom Linz
Die Pilgermadonna des Bildhauers Linzinger aus dem 19. Jahrhundert "steht uns bei auf der Pilgerschaft des Lebens", auch die - alarmgesicherte - Wurmstraßen-Madonna von Sweiker aus dem 15. Jahrhundert thront unbehelligt seit 100 Jahren genau gegenüber des Ausstellungsraums beim Eingang zur Votivkapelle.
Die Künstlerin Esther Strauß selbst ist entsetzt. "Wer auch immer den Kopf der Skulptur entfernt hat, ist sehr brutal vorgegangen. Diese Gewalt ist für mich ein Ausdruck davon, dass es immer noch Menschen gibt, die das Recht von Frauen an ihrem eigenen Körper in Frage stellen. Dem müssen wir ganz entschieden entgegen treten."
Bezug zu Marienfiguren in Linzer Krippe
Ihre Skulptur "Crowning" nimmt übrigens Bezug auf zwei anderen Mariendarstellungen - jenen in der berühmten Linzer Holzkrippe von Sebastian Osterrieder, geschnitzt zwischen 1907 und 1913. "Beide Marien wirken niedergeschlagen", sagt die Künstlerin, "ich stelle ihnen eine dritte Maria zur Seite." Von der sie wusste, dass sie aufregen wird. Denn sie stellte schon vorab die Frage: "Wieso ist diese Maria für wen ein Skandal?" Die Skulptur war auf 8.900 Euro versichert, angekauft wurde sie von der Diözese nicht.
Pornographie und Gotteslästerung
Mails, Anrufe, Beschwerden: Damit ist auch Bischofsvikar Johann Hintermaier befasst. Pornographie und Gotteslästerung lauteten die Vorwürfe, und dass man "Maria so nicht zeigen dürfe", schildert er. Auch Frauen hätten sich gemeldet, die diesen intimen Moment der Geburt, wo Scheide, Vagina und der Kopf des Kindes zu sehen sind, nicht dargestellt wissen wollen.
Für das Unverständnis hat Hintermaier Verständnis, auch für Kritik. "Wenn wir damit religiöse oder persönliche Gefühle verletzt haben, tut uns das sehr leid", sagt Hintermaier, der auch bei der Abendmesse am Montag nach dem Vandalenakt das Gespräch mit den Kirchenbesuchern gesucht hat.
"Kuratierung hat gefehlt"
Er räumt ein: "Es war wohl ein Fehler, dass wir die Menschen ohne Begleitung zur Skulptur gelassen haben." Die "provokante Darstellung" hätte kuratiert werden müssen, ist er rückblickend überzeugt, damit die Themen, um die es geht, diskutiert werden. "Maria, die Gottesgebärerin, hat Jesus auf einem Stein zur Welt gebracht", erinnert Hintermaier. "Heute bringen Frauen ihre Kinder im Krieg zur Welt, oder Frauen, die vergewaltigt wurden."
Da gehe es darum, inhaltlich weiterzudenken: "Man darf in dieser Situation Maria um Hilfe bitten." Die "Enthauptung im Zeichen der Frömmigkeit" sei der Gipfel der Eskalation, "wenn die Argumente fehlen, das verurteilen wir zutiefst, das ist auch nicht christlich." Was er auch gemerkt habe: "Manche sind froh über das Gespräch, manche wollen uns einfach nicht hören und uns nur schädigen."
Gewaltakt schockiert
Was Martina Resch, Mitinitiatorin der DonnaStage, dem Kunstprojekt zu 100 Jahre Mariendom, auch so empfindet: "Der Gewaltakt gegen eine Frauenfigur schockiert uns." Sie sei auf Kritik vorbereitet und zu Gesprächen bereit gewesen, man habe eine Offenheit für einen differenzierten Diskurs gerade im Umfeld der Kirche erhofft und sei "von Gewalt und verbaler Aggression überrascht" worden.
Maria als Frau zu zeigen, die Schmerzen hat bei der Geburt und sich freut, sei die Intention des Werkes. "Vielleicht haben manche in der katholischen Kirche immer noch ein Problem mit Körperlichkeit", resümiert Resch enttäuscht, weil sie auf viele Gespräche zu dem kontroversiellen Thema gehofft hatte.
Mittlerweile gibt es ein "Bekennerschreiben" auf der Plattform "Katholischer Widerstand, auf der die Tat anonym beschrieben und erklärt wird, dass mit der Enthauptung "die Blasphemie beendet" war.
Kommentare