Sie gilt als eine der kühnsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur. In ihren Texten weist Anna Baar auf soziale und politische Ungerechtigkeiten hin, und zwar so, dass es schmerzt. 2022 wurde ihr der Große Österreichische Staatspreis zuerkannt. Am 10. 9. wird die 50-Jährige das Internationale Brucknerfest 2023 als Rednerin eröffnen.
KURIER: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie die Eröffnungsrednerin des heurigen Brucknerfestes sind?
Anna Baar: Das wüsste ich auch gerne! Ich kann es mir nicht erklären, es war eine Überraschung. Anscheinend schätzt jemand meine Art zu schreiben und zu reden, und hat sich gedacht, er tut sich das an mit mir. Nein, im Ernst, ich freue mich natürlich sehr, es ist eine große Ehre.
Haben Sie schon eine Idee, worum es inhaltlich gehen wird in der Rede?
Ich werde das Thema des Brucknerfestes natürlich aufgreifen, obwohl ich keine Expertin in Frauenfragen bin. Ich habe den großen Vorteil als Schriftstellerin, dass ich Geschichten erzählen kann. Ich möchte Eindrücke schildern, ein paar steile Thesen aufstellen zur Rettung der Weiblichkeit. Wenn es so etwas wie eine Botschaft geben kann in so einem komplexen Feld, ist es vielleicht die, dass Weiblichkeit in den Zuständigkeitsbereich von uns allen fällt.
Diese beiden Boxen, männlich und weiblich, wie empfinden Sie die?
Ich möchte nicht daran rütteln, dass es so etwas wie männlich und weiblich gibt. Es gibt eine Reihe von Wesenseigenschaften, die wir an Polen verorten. Wichtig ist aber, dass wir auf die Zwischentöne und Nuancen achten. Es ist eine Tendenz des Extremismus, dass diese beiden Pole wieder wichtiger werden.
Was ich hinterfrage, ist dieses Zuschanzen von Eigenschaften: Warum muss die Frau alles Weibliche abkriegen? Mitleid, Mütterlichkeit, Güte, Nachgiebigkeit, Bescheidenheit – alle diese Qualitäten stehen gesellschaftlich nicht hoch im Kurs. Man beschneidet die Frauen um ihren männlichen Anteil, der ja auch in ihnen ist. Wäre es nicht besser, dass man sich von beidem nehmen kann und soll? Wir haben leider diese biologistische Sicht auf das Ganze.
Woran arbeiten Sie derzeit?
Ich habe ein heißes Eisen im Feuer. Am 13. September erscheint mein neues Buch „He, holde Kunst!“, das sich mit allen möglichen Künsten beschäftigt.
Sie kommen ursprünglich aus der Musik. Wie sind Sie beim Schreiben gelandet?
Mein Vater hätte mich lieber als Pianistin gesehen, als mich reden oder lesen zu hören. Da muss man ja Angst haben, dass die Töchter Stuss erzählen! Ich hab viele Jahre am Konservatorium Klavier gelernt und komponiert. Das hat sich als vergeblich erwiesen, ich war zu faul zum Üben. Daran ist es gescheitert. Und an meiner Sehnsucht nach Sprache, die sich am Wort reibt. Ich bin dann an den Punkt gekommen, mein Schreiben der Welt zuzumuten. Das ist die große Überwindung: Rauszutreten aus dem stillen Kämmerchen.
Wie empfinden Sie den aktuellen Stellenwert von Kultur in der Gesellschaft?
Bedrohlich, ich sehe, dass sie überall beschnitten wird. Wenn wir die Kultur beschneiden, dann geht es irgendwann unkultiviert zu. Da bleibt wenig Tröstliches über.
Das Schöne und Gute gehört rehabilitiert, so viele Menschen flüchten sich heute in Scheinwelten, weil sie all das Negative nicht mehr wahrhaben können und wollen. Ich bin für eine 50-Prozent-Quote an positiven Meldungen.
Wie sind Ihre Erfahrungen im Kulturbetrieb? Wie sehr muss man sich als Frau behaupten, um wahrgenommen zu werden?
Das Geschlecht spielt für mich überhaupt keine Rolle, ich bin da sehr trotzig. Ich will nicht als Frau gesehen und behandelt werden, sondern einfach als Mensch, der schreibt. Ich halte mich nicht damit auf, Erwartungen zu entsprechen, was das Persönliche angeht. Kritik an meinen Texten lasse ich wiederum auch nur gelten, wenn ich das Gefühl habe, dass sie profund ist, dass Menschen sich auseinandergesetzt haben und diese Texte bewältigt haben.
Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Manchmal ertappe ich mich dabei, das Urteil von Frauen, die ich kenne, besser annehmen zu können als das von Männern. Die neigen nämlich häufig dazu, den Frauen versteckt erklären zu wollen, wie und was sie schreiben sollen.
Welche Hürden gibt es als Frau?
Wenn man sich als Frau in die Kultur stürzt, sind die Entstehungsbedingungen andere. Man ist belasteter. Ich merke, dass ich als Frau und Mutter mehrfach beansprucht bin. Und es gibt auch den Unterschied, dass die Arbeit von Frauen mehr unter Verdacht steht. Die erfolgreiche Frau macht in der bewussten oder unbewussten Wahrnehmung oft Schulden. Bei der Frau hegt man immer den Verdacht, es stecken Gnadenakte dahinter, Hilfestellungen, Gönner, Förderer, Steigbügelhalter. Beim Mann wird das Werk nicht hinterfragt.
Dieses Bashing auf die Jugendlichen zipft mich an. Jahrzehntelang hat man sich aufgeregt, vor allem die alten 68er, dass keiner mehr auf die Straße geht. Jetzt picken sie sich auf die Straßen, dazu kann man stehen, wie man mag, aber Terroristen sind sie deswegen noch lange nicht. Ihnen gehört die Zukunft, nicht uns. Sie hätten da mitzureden, aber man hört sie nicht, sondern beschimpft sie. Ich sehe da eine ganz tolle Generation heranwachsen.
Was gefällt Ihnen konkret?
Junge Frauen holen sich viele Bereiche zurück, die man vielleicht als männlich sehen würde. Burschen lackieren sich die Fingernägel. Als David-Bowie-Verehrerin finde ich das toll. Und diese schönen, hybriden Wesen, die sich die Freiheiten herausnehmen, heute das eine und morgen das andere zu sein, die sind wunderbar. Ich glaube, das ist ein ganz tolles, neues Denken, das da kommt, das muss man nur bewahren. Es ist nämlich schon so, dass durch gewisse Kräfte wieder sehr viel infrage gestellt wird, was sich etwa Frauen und gleichgeschlechtlich Liebende erkämpft haben. Das muss man mit Zähnen und Klauen verteidigen.
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