„Kunst muss tiefer gehen“

„Kunst muss tiefer gehen“
Die Künstlerin VALIE EXPORT auf seltenem Linz-Besuch in ihrem Archiv in der Tabakfabrik

Für eine Buchpräsentation kam VALIE EXPORT kürzlich von Wien nach Linz ins Center in der Tabakfabrik, das ihren Namen trägt und ihren Vorlass enthält. Im Interview ist die Feministin und bekannte Künstlerin, die mit bürgerlichem Namen Waltraud Stockinger heißt, schlagfertig und reflektiert. Übermorgen, Dienstag, am 17. Mai, feiert die gebürtige Linzerin ihren 82. Geburtstag. Noch immer ist sie künstlerisch aktiv, interessiert und am Schaffen.

KURIER: Wie fühlt es sich an, ein eigenes Center zu haben? Entdecken Sie hier selber noch Neues, etwa neue Kontexte, neue Perspektiven auf Ihre Arbeiten?

VALIE EXPORT: Es ist ein sehr angenehmes Gefühl, einen Bereich zu haben für die früheren Gedanken, die ja hier in Form von Drehbüchern, Skizzen, Scribbles und vielem mehr vertreten sind. Das fühlt sich sehr gut an. Ich bin froh, dass das VALIE EXPORT Center in Linz situiert ist, dass es in einem Gebäude ist, das ich als Kind bewundert habe. Durch die Tabakfabrik habe ich Architektur kennengelernt, der Bau hat mich dermaßen fasziniert. Deswegen bin ich fast stolz darauf, dass ich mein Archiv jetzt hier haben kann.

Wie wichtig ist das soeben erschienene Buch für Sie?

Sehr wichtig. Dieses Buch zeigt viele Dinge von meinem Werk auf, die sonst nicht in Katalogen zu sehen sind. Hier wird ein Überblick über die verschiedenen Kategorien geboten, in denen ich gearbeitet habe, wie etwa Fotografie, Texte, Performances und Aktionen. Es ist auch für mich spannend, dass alles wieder mal gesammelt zu sehen und darüber zu sprechen.

Arbeiten Sie noch und wenn ja, woran gerade?

Ja, ich arbeite immer noch. Ich habe jetzt das Thema „Würfel“, das sich auch hier in Linz bald verwirklichen wird. Ich bin mit Tempo bei der Sache. Das Thema wird sich in verschiedenen Installationen ausdrücken.

Haben Sie ein Atelier?

Ich habe ein Atelier, einen großen Schreibtisch, den Computer, mehrere Fotoapparate – es ist alles da, was man als Künstlerin braucht und sich im Laufe der Jahre als Archiv angeschafft hat. Im Eiskasten habe ich spezielle Filme mit passender Kamera, die gibt es nicht mehr. Und da muss ich bangen, dass ich die noch irgendwo in Europa entwickeln lassen kann.

Sind sie öfter in Oberösterreich?

Ich bin leider nicht oft in Oberösterreich, eher in Wien oder im Ausland.

Was halten Sie von der oö. Kulturpolitik?

Ich kenne sie viel zu wenig, glaube aber, dass manches ganz gut verwaltet wird. Jetzt kommt mit dem Salzkammergut als Kulturhauptstadt 2024 ein weiterer großer, sehr breiter und offener Schritt.

Wenn Sie die heimische Kulturlandschaft betrachten: Fehlt Ihnen etwas? Aufregung? Provokation?

Was ist heutzutage Provokation? Für mich war Provokation immer etwas ganz Normales, weil ich ein Gespräch, einen Dialog provozieren wollte und dass sich jemand meine Arbeiten genauer ansieht und darüber nachdenkt.

Viele Ihrer früheren Aktionen, etwa das Tapp- und Tastkino, würden vermutlich auch heute noch schockieren und provozieren. Hat sich die Gesellschaft wirklich so wenig verändert in den vergangenen Jahrzehnten?

Die Gesellschaft ändert sich natürlich laufend wahnsinnig schnell. Aber der künstlerische Ausdruck ist ein anderer als der gesellschaftliche. Im Alltag geht Veränderung schnell, aber sie geht nicht in die Tiefe. Das ist ein Motor, der pausenlos läuft, aber nicht vom Fleck kommt. Der künstlerische Bereich geht tiefer, muss sich mit Wissenschaft, gesellschaftlichen Formen und mit Politik auseinandersetzen können. Das geht nicht so schnell.

Wenn Sie eine Woche lang das Amt der Frauenministerin übernehmen könnten, was wären Ihre ersten, weil notwendigen Schritte?

Das ist eine äußerst schwierige Frage, aber vielleicht würde ich mal alle Männer in führenden Positionen entlassen. Und dann nächste Woche weiterschauen.

„Kunst muss tiefer gehen“

Herausgeberin Sabine Folie (re.) mit der Künstlerin

Einblicke in ein vielfältiges Schaffen

„Das ist ein echter Brocken!“ So würdigte die Medien- und Performancekünstlerin VALIE EXPORT das mehr als 400 Seiten starke Buch „Archive Matters. Dokumente lesen und zeigen“, das kürzlich in ihrem Beisein im VALIE EXPORT Center in Linz präsentiert wurde.

Das von Sabine Folie, der ehemaligen wissenschaftlichen Leiterin des Centers, herausgegebene Werk, gibt einen Einblick in das vielfältige Schaffen der Künstlerin. Mit dem Ankauf des umfassenden Archivs, das mit Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit Ende der 1960er-Jahre aufgebaut wurde, seitens der Stadt Linz, wurde die Basis für das 2017 in der Linzer Tabakfabrik errichtete VALIE EXPORT Center gelegt.

Werkverzeichnisse, Register, Studien, Skizzen, „massenhaft Fotos“ (VALIE EXPORT) mit Objekten, Texte, Zeitungsausschnitte sind genauso Bestandteil des Archivs wie  eine umfassende Bibliothek. Bei der Präsentation des „Brockens“ kam VALIE EXPORT  auf Grundsätzliches zu sprechen. Sie sei Ende der 1960er-Jahre von Utopien getrieben worden.

„Heute geht das nicht, heute hat man Angst, Utopien zu leben, vielleicht aus Resignation im Glauben, nichts ändern zu können.“

Diese Woche erhielt VALIE EXPORT das Große Silberne Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich und im Juni wird der gebürtigen Linzerin auch die Ehrenmitgliedschaft der Kunstuniversität Linz verliehen.

„Kunst muss tiefer gehen“

Leben und Werk

Herkunft
Geboren  am 17. 5. 1940 in Linz als Waltraud Lehner, legte sich die Künstlerin 1967  den Namen VALIE EXPORT zu. Sie beginnt ihre künstlerische Karriere mit dem Film. Immer wieder greift sie feministische Themen  auf, stellt dabei den gängigen, oft voyeuristischen Blick auf den weiblichen Körper infrage

Aktionen
Etwa 1968  mit dem „Tapp- und Tastkino“: Am Oberkörper trug EXPORT einen Kasten mit zwei Öffnungen und lud Menschen ein, 12 Sekunden lang ihre nackten Brüste zu berühren, daraus wurde ein Film. Ihren Partner Peter Weibel führte EXPORT bei der Aktion „Aus der Mappe der Hundigkeit“ an einer Leine in Wien spazieren
www.valieexport.at

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