„Wir müssen die Türen noch weiter aufstoßen“

„Wir müssen die Türen noch weiter aufstoßen“
Marin Alsop zählt zu den erfolgreichsten Dirigentinnen der Gegenwart und kommt bald mit dem Radio-Symphonieorchester nach Linz

Sie ist Leiterin des Radio-Symphonieorchesters Wien, unterrichtet an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Marin Alsop wird am 30. September ein Konzert im Linzer Brucknerhaus dirigieren. Im KURIER erzählt die 64-jährige Amerikanerin von ihrem Leben, den persönlichen und beruflichen Erfolgen.

Frau Alsop, was wird denn das Publikum bei Ihrem Konzert in Linz erwarten?

Alsop: Es wird ein sehr heroisches, ich würde fast sagen typisch österreichisches Programm werden. Wir starten mit eher unbekannteren Komponisten wie Hans Rott und Hugo Wolf. Das sind sehr zugängliche Stücke. Dann spielen wir Gustav Mahlers „Titan“ in der Originalversion. Ich war noch nie in Linz, deswegen freue ich mich sehr darauf. Ich werde versuchen, früher zu kommen, um noch etwas von der Stadt zu sehen.

Wie wurden Sie eigentlich Dirigentin? War das immer Ihr Traum oder ist das einfach passiert?

Gar nichts ist einfach passiert! Es war immer mein Traum, meine Eltern waren Profimusiker, ich habe zuerst Klavier und Geige gespielt. Als neunjähriges Mädchen nahm mich mein Vater mit zu einem Konzert, das Leonard Bernstein dirigierte. Und das war der Moment: Ich wusste, das will ich auch machen! Hauptsächlich deshalb, weil Bernstein so enthusiastisch war und so viel Freude hatte. Und ich habe mir gedacht: So will ich mein Leben verbringen, erfüllt mit sehr viel Freude.

Und diese Vision haben Sie offenbar nie verloren?

Nein, aber natürlich war es oft hart. Aber nicht mal heute ist es einfach für ein Mädchen, sich in einem Gebiet zu behaupten, das nicht typisch für Frauen ist. Als ich nicht mehr weiterkam, hab ich mein eigenes Orchester mit meinen Freunden gegründet und das hat super funktioniert. Da bekam ich Feedback und ich konnte mich weiterentwickeln. Und dann studierte ich bei Bernstein, ein Traum wurde wahr.

„Wir müssen die Türen noch weiter aufstoßen“

Was waren die größten Herausforderungen als Dirigentin in dieser noch immer männlich dominierten Sparte?

Für Frauen ist es immer der Mangel an Möglichkeiten. Die größte Herausforderung für sie ist es, genug Zeit auf der Bühne und am Pult zu haben. Sie müssen die Gelegenheit bekommen, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Ich habe 2002 ein Förderprogramm für Dirigentinnen gestartet, mit dem Ziel, sehr viele Möglichkeiten für junge Frauen zu schaffen, zu experimentieren und Herausforderungen anzunehmen – ohne Konsequenzen. Wir arbeiten mit den Frauen über mehrere Jahre zusammen, entwickeln individuelle Gelegenheiten zu dirigieren, angepasst an ihrer Karriere. Wir haben 24 Teilnehmerinnen aus 16 Ländern. Wie gesagt, die Möglichkeiten müssen da sein!

Und worum geht es noch?

Um Solidarität. Während Covid konnten wir Dirigentinnen zwei Mal pro Woche alle miteinander kommunizieren, wir hatten alle mehr Zeit als sonst. Und das war eine schöne Beziehungserfahrung. Diese Solidarität unter Frauen zu fühlen, ist großartig. Alle reden immer vom „Old Boys Network“, es wird Zeit, dass wir viel mehr „Old Girls Networks“ schaffen. Die #MeToo-Bewegung hat die Türen für uns bereits geöffnet, jetzt müssen wir sie noch weiter aufstoßen.

Erzählen Sie doch ein wenig über Ihre Zeit in Österreich!

Ich liebe das Radio Symphonieorchester, die Mitglieder sind alle sehr enthusiastisch, mit einem jungen, frischen Geist, können sich schnell an neue Musik anpassen. Außerdem genieße ich es sehr, im Konzerthaus und im Musikverein zu spielen. Es gibt hier sehr viele Traditionen. Da muss man manchmal außen herum oder mittendurch, um voranzukommen. Die Menschen hier sind auf den ersten Blick sehr ernst und unnahbar, aber alle, die ich bis jetzt besser kennengelernt habe, sind Menschen, die mir mein Leben lang bleiben werden. Beziehungen sind nicht so oberflächlich wie in Amerika, sondern tiefer.

„Wir müssen die Türen noch weiter aufstoßen“

Wie haben Sie die vergangenen eineinhalb Jahre der Pandemie erlebt? Was haben Sie vermisst?

Die Interaktion mit dem Publikum habe ich sehr vermisst, da ist es wohl allen Musikerinnen und Musikern ähnlich gegangen. Andererseits hatte ich großes Glück. Wir haben sehr viele Aufnahmen gemacht. Die Situation hat auch viele Künstlerinnen und Künstler dazu bewogen, offen gegenüber Streaming und alternativen Konzertmöglichkeiten zu werden. Ich hoffe also, dass der Zugang zu Kunst und Kultur für alle Menschen in Zukunft besser und niederschwelliger wird.

Was macht einen guten Dirigenten, eine gute Dirigentin aus? Gibt es ein Geheimrezept?

Wie bei fast allen Dingen ist es 90 Prozent harte Arbeit und 10 Prozent Inspiration. Wir müssen uns an unsere Verantwortung erinnern. Die gilt zuallererst dem Komponisten: Wir sind die Botschafter des Komponisten. Dann muss ich meine Musikerinnen und Musiker motivieren so gut zu sein, wie sie nur können. Vorbereitung ist alles! In erster Linie darf es nie um uns und unser Ego gehen, sondern immer um den Komponisten und die Musik. Solange wir am Dirigentenpult Enthusiasmus und Verbindlichkeit für die Musik haben, folgt das Orchester. Ich will immer bestens vorbereitet sein und nicht die Zeit des Orchesters verschwenden.

Hatten Sie Vorbilder für Ihre Arbeit?

Sie kennen jetzt schon Bernsteins Bedeutung und Einfluss auf meine Karriere. Meine Eltern haben mich auch sehr stark unterstützt. Aber abgesehen davon habe ich alles gut alleine durchgezogen.

Was sind Ihre größten Erfolge?

Dieses Förderprogramm für junge Dirigentinnen gehört sicher dazu, weil es viele Möglichkeiten für die nächsten Generationen an Frauen schafft. Und das Programm, das ich in Baltimore für Kinder gestartet habe, 2000 lernen nun Instrumente. Natürlich bin stolz auf meine Karriere, aber am meisten freue ich mich über jene Initiativen, die Möglichkeiten für andere schaffen.

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