„In Krisenzeiten wird gehetzt“

„In Krisenzeiten wird gehetzt“
Gunther Trübswasser von SOS-Menschenrechte über Proteste gegen Asylwerberheime und die politische Kultur in Österreich

Der ehemalige grüne Landtagsabgeordnete und Vorsitzende von SOS-Menschenrechte, Gunther Trübswasser, kritisiert die Gemeindepolitik in Reichersberg. Diese habe  Ängste vor einer Flüchtlingsunterkunft im Ort geschürt.


KURIER: Es gab in Reichersberg viel Aufregung um das Asylwerberheim. Oberösterreich erreichte als eines der wenigen Bundesländer in der Vergangenheit  die vorgeschriebene Asylwerberquote. Warum braucht es  eine neue Herberge im Innviertel?
Gunther Trübswasser: Oberösterreich erfüllt die Quote nicht ganz. Sie liegt   zwischen 80 und 90 Prozent.

Das war früher anders?
Oberösterreich war einmal auf 105 Prozent. Es werden  neue Quartiere gebraucht, weil die Asylanträge in Österreich von  ungefähr 11.000 im Jahr 2010 auf 14.400  2011 angestiegen sind. Durch die Revolution in den arabischen Ländern kommen  mehr Menschen.  Wir haben in den vergangenen Jahren Quartiere aufgelassen. Auch SOS-Menschenrechte hat in Kirchschlag eines geschlossen.

Warum?
Es war nicht kostendeckend, weil es  sehr klein war. Aber Kirchschlag war ein  Beispiel, das wir auch in der Debatte um Reichersberg anführten. Dort gab es anfangs Widerstände. Nach einigen Jahren herrschte  Bedauern, dass Kinder wegkamen. Und man bemühte sich sogar, das Heim zu halten.  Leider  glaubte die Gemeindepolitik in Reichersberg, sie kann sich profilieren und  den Widerstand anführen.

Waren sich in Reichersberg alle Parteien einig?
Ja.  Und wenn sich schon der Bürgermeister fürchtet, dann ist das nicht gut. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Schüren von Fremdenangst  nur  einer Partei genützt hat, der FPÖ. Der Schaden, der  in der Bevölkerung angerichtet wird, ist aber um ein Vielfaches größer als die  Stimmen, die man  gewinnt.
 Es gibt andere Beispiele aus Pabneukirchen, aus Grein und Mauthausen. Dort standen die Politiker mehrheitlich zu den Flüchtlingen. Die  sind bei der nächsten Wahl  wiedergewählt worden. Die Hilfe durch die Bevölkerung ist  größer als die Ablehnung.

Weil Sie gesagt haben, das Schüren der Ängste hat nur einer Partei genützt. Warum haben sich die anderen nie zusammengeschlossen, um dagegen vorzugehen?
Ich will das so beantworten. Ich kenne die Situation in Deutschland. Dort ist die politische Kultur  so groß, dass es bei den Bundestagswahlen keine Hetze in Sachen Asylwerber gegeben hat – mit einer Ausnahme, der NPD. Die Partei hatte dieselben Plakate wie die FPÖ, nämlich Heimreise statt Einreise.  Berlin hat sicherlich Probleme mit  viel Zuwanderung. Das  sind Probleme, die zu lösen sind.  Aber es gibt  einen Konsens, dass man nicht auf Kosten des Zusammenhalts  der Bevölkerung Politik macht.

Gab es  ein Heim, wo es anfangs keine Proteste gab?
Es gibt Heime,  die sich im Stillen entwickelt haben. Unsere Einrichtung in der Rudolfstraße in Linz funktioniert sehr gut. Dort kommen Nachbarn, die spenden Kleider und bringen Kuchen.  
Ich habe das Wohnheim Katzbach für psychisch Kranke erlebt, das vor einigen Jahren eingerichtet wurde. Hier gab es vehementen Widerstand. Damals sagte der Bürgermeister, wir brauchen das. Es ist immer wichtig, dass die Entscheidungsträger  hinter einer humanen   Politik stehen.  

In Reichersberg haben sich auch FP-Größen eingeschaltet. Warum schlägt  die Diskussion um eine Unterkunft  so  hohe Wellen?
Das ist eine Spirale, die in Gang gesetzt wird, die zu  Hass führt. Es bleibt  nicht bei den Asylwerbern alleine. Es sind  die Bettler, die Arbeitslosen,  die Kinder, die zu viel Lärm machen.  In Krisenzeiten fängt man an zu hetzen und Fehlinformationen zu verbreiten. Das ist nun einmal leider so.

Es gab Anfang des Jahres eine parlamentarische Anfrage des FP-Abgeordneten Vilimsky an die  Innenministerin betreffend „Fremdenkriminalität 2011“. Nach Angaben des Ministeriums gab  es rund 260.000 ermittelte tatverdächtige Personen, rund 77.000 Menschen waren keine österreichischen Staatsbürger. Von denen waren 7600 Asylwerber. Das sieht   viel aus, vor allem, weil  2011 rund 14.000 Menschen einen Asylantrag gestellt haben. Wie sehen Sie das?
Tatverdacht ist noch keine  Verurteilung. Und wo fängt man an, wenn man einen Ladendieb sucht? Bei jemandem, den man nicht kennt, der  ein bisschen schräg aussieht und arm daherkommt.  
Ich will jetzt die Kriminalität nicht entschuldigen und bagatellisieren.  Aber klammern wir jetzt einmal die straffälligen Asylwerber aus, die es zweifellos gibt. Die Frage ist aber, warum dürfen die Asylwerber nicht arbeiten? Sie kriegen gerade einmal 40 Euro Taschengeld im Monat. Und warum kann man Menschen lange in Schubhaft stecken, die nichts verbrochen haben, sondern nur kein Asyl bekommen haben?

Was spricht dafür, dass Asylwerber arbeiten dürfen?
 Sie würden niemandem die Arbeitsplätze wegnehmen. Was unsere  Wirtschaft sucht, sind qualifizierte Berufe, keine Hilfsjobs.  Und die Menschen werden zum Nichtstun in einer schwierigen Situation gezwungen. Dazu kommt, dass viele sagen, wir müssen arbeiten und die Asylwerber lassen es sich  gut gehen. Das schafft  auch böses Blut.

Die Betreuung der Asylwerberheime übernehmen  meist zivilgesellschaftliche Organisationen. Ist das nicht  eine Aufgabe, die der Staat übernehmen sollte?
Ich sehe das positiv. Erstens findet eine Betreuung von Personen statt, die aus der Region sind. Und zweitens gehört das zum Sozialsystem. Die Alten- und die Behindertenbetreuung wird auch nicht durch staatliche Angestellte durchgeführt.  Und das  hat sich bewährt.

Kann es  dadurch auch sein, dass die Organisationen geplante Gesetze nicht so stark kritisieren?
Ich glaube das nicht. Herr Küberl (Präsident der Caritas, Anm.) hat erst kürzlich eine  heftige Presseaussendung gemacht. Und auch wir als SOS-Menschenrechte melden uns sehr häufig zu Wort.  

SOS Menschenrechte

Gunther Trübswasser ist oberösterreichischer  Landespolitiker. Er saß für die Grünen im Landtag und war von 1997 bis 2004 Klubobmann. Der 67-Jährige ist Vorstandsvorsitzender bei SOS-Menschenrechte. Die Vereinigung versteht sich als Flüchtlingshilfsorganisation und wurde als Reaktion auf das Volksbegehren „Österreich zuerst“ im Jahr 1993 gegründet.
Die Organisation betreibt ein Flüchtlingsheim in der Linzer Rudolfstraße. Außerdem  hat sie das Freiwilligenprojekt AMIGO ins Leben gerufen, bei dem Ehrenamtliche Asylwerber unterstützen.

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