„Plötzlich mussten wir weg“

„Plötzlich mussten wir weg“
Henrietta Granot musste als Kind mit ihrer Familie vor den Nazis aus Linz fliehen

Aus Tel Aviv

Sie war fünf Jahre alt, als das Leben für Jüdinnen und Juden zu gefährlich wurde. Das Geschäft der Familie war arisiert worden, der Vater von Henrietta Granot bereits nach Israel ausgereist, um alles für seine Frau und die Kinder vorzubereiten. „Meine Eltern haben nicht mit mir über das gesprochen, was passierte. Ich kann mich nur erinnern, dass wir plötzlich wegmussten.“

Mit Papieren

Henrietta Granot, geborene Tomann, ist mittlerweile 88 Jahre alt und lebt in der Nähe von Tel Aviv. Sie konnte Österreich mit ihrer Familie rechtzeitig verlassen, „wir hatten Papiere, es war eine legale Ausreise“, betont sie.

Seit 2005 werden Altoberöstereicherinnen und -oberösterreicher mit ihren Familien zu einem Treffen in Tel Aviv eingeladen. Landeshauptmann Thomas Stelzer setzte die Tradition diese Woche fort und betonte in seiner Rede, „wie wichtig es ist, dieses Gedenken zu pflegen und aus der Geschichte zu lernen“.

„Plötzlich mussten wir weg“

Landeshauptmann Thomas Stelzer im Gespräch

Henrietta Granot zählt zu den Pionierinnen des Staates Israel. Sie und ihr Mann hatten hohe Positionen im Verteidigungsministerium inne. Ihr Mann Jakov Granot überlebte die Gefangenschaft im Konzentrationslager Mauthausen, musste aber dabei zusehen, wie sein Vater vor seinen Augen erschossen wurde. Bei einem Besuch in Oberösterreich nahm er viele Jahre später genau an dieser Stelle nochmals von seinem Vater Abschied.

Jakov Granot starb 2008, „er wollte nie mit mir über das sprechen, was in Mauthausen passiert ist, bis zum Schluss nicht“, erinnert sich die 88-Jährige. Granot kehrte mit ihrem Mann und ihren Kindern vier Mal nach Österreich zurück, auch an die Orte ihrer Kindheit in Linz, „aber ich erkenne hier nichts mehr.“

„Plötzlich mussten wir weg“

Henrietta Granot im Gespräch mit KURIER-Redakteurin Claudia Stelzel-Pröll

Jedes Jahr wird die Zahl jener, die bei diesem Treffen ihre Geschichte selbst erzählen können, geringer, jedes Jahr fehlt wieder ein bekanntes Gesicht – entweder wegen schwerer Krankheit oder Tod. Dann sitzen die Söhne und Töchter an den Tischen und kämpfen gegen das Vergessen, erzählen weiter die Geschichten ihrer Mütter und Väter.

Gegen das Vergessen

So wie Nurit Seinfeld, die anstelle ihrer Mutter Helly zum Treffen gekommen ist: Helly Seinfeld wurde als junges Mädchen von Steyr nach Norddeutschland auf einen Bauernhof gebracht und dort versteckt. Sie wurde verraten, musste fliehen und kam inkognito, als Kindermädchen getarnt, ins Erholungshaus von Hermann Göring, wo sie ihm mehrmals begegnete. Später wurde sie von der Gestapo aufgespürt und nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte und emigrierte nach Israel.

 

Verantwortung

Die ganze Familie, bis hin zu Henrietta Granots Urenkeln, hat die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen. „Österreich ist sich seiner Verantwortung in der Geschichte der Shoah bewusst und will diese wahrnehmen. Deswegen wurde auch der Personenkreis jener, die die Staatsbürgerschaft beantragen können, erweitert“, sagt der österreichische Botschafter in Israel, Nikolaus Lutterotti. Rund 8.000 Personen hätten das Angebot bereits angenommen.

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