„Wurden mit Liebe und Unterstützung empfangen“

Anastasiia, Tamari und Tekla mit den Hunden Fabi und Muna
Wie geht es jenen Ukrainerinnen und Ukrainern, die Familienmitglieder, Freunde, Besitz und ihre Heimat zurücklassen mussten?

Sie leben in Privatunterkünften, in Wohngemeinschaften, in offiziellen Unterbringungen diverser Organisationen. Wie geht es jenen Menschen, die ihre Familienmitglieder, Besitztümer und ihre Heimat zurücklassen mussten, um vor Bomben und Soldaten zu fliehen?

Als am 24. Februar russische Truppen in der Ukraine einmarschierten, bedeutete das das Ende von Frieden und Sicherheit für die Menschen in der Ukraine. Vor allem Mütter mit ihren Kindern, flohen so rasch wie möglich ins Ausland. Viele Männer blieben zurück, um zu kämpfen.

Jene, die nun hier in Österreich gestrandet sind, versuchen, abseits aller Formalitäten, Alltag zu leben – immer in Sorge um jene, die noch in der Heimat sind. Ein Besuch bei zwei Familien.

„Wurden mit Liebe und Unterstützung empfangen“

"Selenskij ist unser Held"

Raus mit den kleinen, niedrigen Waschbecken, raus mit der Kindertoilette. Vor dem Einzug der drei jungen Frauen musste zuerst umgebaut werden. In der Wohnung unter dem Dach des Paschinger Rathauses war davor eine provisorische Krabbelstubengruppe untergebracht gewesen. Die Gemeinde hat sich   entschlossen, den Wohnraum Menschen in Not zur Verfügung zu stellen.

Die beiden Schwestern Tekla, 20,  und Tamari, 21, haben dort gemeinsam mit ihrer Freundin Anastasiia, 21, und den beiden Hunden Fabi und Muna ein neues Zuhause gefunden: „Wir wurden hier mit so viel Liebe und Unterstützung aufgenommen, wir sind sehr dankbar.“ Alle drei Ukrainerinnen sind ausgebildete Krankenschwestern und wollen hier in Österreich möglichst bald Arbeit finden. Der Vater der Schwestern Tamari und Tekla kann derzeit nicht ausreisen, „das ist viel zu unsicher“, die Mutter unterzieht sich gerade einer Chemotherapie in Georgien. „Eigentlich wollten wir die Ukraine nicht verlassen, aber unsere Eltern wollten, dass wir fliehen.“ Schwester und Mutter von Anastasiia versuchen derzeit ebenfalls nach Österreich zu kommen – die mögliche Fluchtroute ist ungewiss.

Mit den beiden Hunden sind die Frauen viel draußen unterwegs, demnächst beginnen die Sprachkurse. „Wenn es uns schlecht geht und wir uns ablenken wollen, backen wir gemeinsam. Das ist für uns die beste Beruhigung“, erklärt Tamari, woraufhin Tekla einen Schoko-Bananen-Kuchen kredenzt. Ziel ist es, später hier zu studieren und zu arbeiten.

„Auf der Suche nach Quartieren für Flüchtlinge des Ukrainekrieges, ist mir unsere leer stehende Wohnung im Rathaus eingefallen. Es freut uns sehr, dass drei junge Frauen nun zum Teil unserer Gemeinschaft werden und dass wir einen kleinen Beitrag dazu leisten können, die Folgen dieses schrecklichen Krieges zu lindern“, erklärt der Paschinger Bürgermeister, Markus Hofko (ÖVP).

Mit den Familienangehörigen in der Heimat ist das Trio täglich in Kontakt, Präsident Selenskijs Aktivitäten verfolgen die drei Frauen regelmäßig  auf Instagram: „Er ist unser persönlicher Held, unser Idol. Wir setzen uns seit langer Zeit für Selenskij ein, weil wir erkannt haben, dass er wirklich für uns als Menschen da ist“, sagt Tekla, und Tamari ergänzt: „Er ist so nahbar. Man kann ihm Nachrichten schreiben, er antwortet. Auf der Straße war er immer ohne Personenschutz unterwegs. Man konnte  einfach hingehen und mit ihm sprechen. Vor Selenskij hat uns Politik null interessiert, jetzt kennen wir jedes Detail.“

Und Anastasiia denkt, dass „ein verpflichtender Einsatz beim Militär auch für Frauen gut wäre, ähnlich wie in Israel.  Es könnte bald ein Gesetz dazu kommen. Es reicht nicht, Kinder zu gebären. Sie müssen in einem freien Land aufwachsen können.“

„Wurden mit Liebe und Unterstützung empfangen“

Elena Hrankina (li.) mit ihrer Tochter Natalia und den Zwillingen Dima und Igor

"Habe jeden Tag Angst um meine Familie"

„Wir fühlen uns hier sehr wohl, hier können wir endlich zur Ruhe kommen.“ Seit 31. März ist Elena Hrankina mit ihren drei Kindern Natalia, 19, und den Zwillingen Dima und Igor, 10, in Österreich. Derzeit lebt die Familie im Pfadfinderheim in Pasching. Dort wurde ein Stockwerk adaptiert, Gemeinschaftsräume können mitgenutzt werden. Die Buben besuchen bereits die örtliche Volksschule. Mitglieder der Pfadfinder kümmern sich um die Geflüchteten.

Die Heimatstadt Charkiw war einer der ersten Kriegsschauplätze. „Unser Haus gibt es zwar noch, aber alles rundum ist kaputt“, erzählt Elena. Ihr Mann blieb in der Ukraine bei seinen Eltern, auch Schwester und Bruder von Elena sind zurückgeblieben. „Natürlich habe ich jeden Tag Angst um meine Familie. Mein Mann darf derzeit nicht ausreisen.“

Die Flucht aus der Ukraine war für die Familie traumatisch. Als Elena Hrankina davon erzählt, wird es sehr still im Raum: „Meine Mutter war 60 Jahre alt. Sie war mit uns unterwegs, aber sie auf der Flucht gestorben.“

Der Zeit nach dem Krieg sieht die 36-Jährige skeptisch entgegen: „Was ist, wenn wir die schlimmste Zeit im Ausland überlebt haben und dann daheim eines der Kinder mit einer nicht detonierten Bombe spielt? Darüber will ich gar nicht nachdenken.“

„Wurden mit Liebe und Unterstützung empfangen“

Nach allerhand Formalitäten ist bei Familie Hrankina so etwas wie Alltag eingekehrt: Die Kinder gehen in die Schule, Elena kümmert sich um die täglichen Aufgaben, bringt Struktur in den Tag. Sowohl Mutter als auch Tochter hoffen, dass sie bald Arbeit finden werden: Die blaue Karte, die den legalen Aufenthalt garantiert und das Tor zur Arbeitswelt darstellt, wurde beiden Frauen kürzlich ausgestellt. „Ich bin ausgebildete Schweißerin und mache meinen Beruf sehr gerne“, erzählt die 19-jährige Natalia. Prinzipiell möchte die Familie gerne hierbleiben: „Hier haben wir eine Zukunft, die Kinder können etwas lernen. Aber mein Herz ist  immer in der Ukraine“, sagt Elena Hrankina.

Natürlich sei es sehr wichtig, jetzt möglichst schnell die Sprache zu lernen, damit Kommunikation möglich sei. Bei den Buben  funktioniere das in der Schule: „Die Kinder sind sehr lustig, wir haben schon einige von ihnen kennengelernt“, erzählen Dima und Igor. Was sie am meisten vermissen an der Heimat? „Unsere beiden Hunde“, sagen die 10-Jährigen unisono.
Derzeit ist die Familie auch viel in der Umgebung unterwegs, zu Fuß oder mit der Straßenbahn.

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