„Ein Schnitt, der gefeiert wird“

„Ein Schnitt, der gefeiert wird“
Für religiöse Juden ist die Beschneidung ein Gebot Gottes, das es einzuhalten gilt. In der Kultusgemeinde sieht man das pragmatisch.

Der Eingriff dauert nur wenige Sekunden: Ein Schnitt mit dem Skalpell und die Vorhaut ist weg. „Das ist keine große Sache und tut auch nicht besonders weh", sagt George Wozasek, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Oberösterreich. Dramatik komme bei  Beschneidungen keine auf – die Babys würden nur kurz weinen, den Schmerz  aber rasch wieder vergessen. „Dann kommt auf die Wunde ein Verband und nach zwei Wochen ist das Ganze verheilt."

Gebot

Derartige Eingriffe seien früher von Rabbinern durchgeführt worden, heute werde das von jüdischen Ärzten praktiziert.  Das Ritual werde in den meisten Fällen in einer Synagoge abgehalten. „Für gläubige Juden ist das ein Grund zur Freude und wird gefeiert", betont Wozasek. Auch sein Sohn sei in der Synagoge beschnitten worden: „Leider kommt es in Oberösterreich nur selten zu Beschneidungen, weil es kaum noch jüdischen Nachwuchs gibt. Die vorerst letzte liegt einige Jahre zurück."

Für religiöse Juden sei die Zirkumzision ein Gebot. „Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen ... Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden", heißt es in der Tora. Laut Wozasek sei es aber eine rein private Entscheidung, ob jüdische Eltern ihre  Buben beschneiden lassen oder nicht.  „Wer das Gebot nicht befolgen will, hat nichts zu befürchten. Es wird von uns kein Druck ausgeübt."

Hygiene

Die etwa 4000 Jahre alte Tradition habe hygienische Hintergründe. „Das Judentum entstand in einer Region, wo es sehr heiß war und  Männer als Hirten auf dem Feld gearbeitet haben."
Der hygienische Aspekt sei auch mit ein Grund dafür, warum etwa in den USA 60 Prozent der Männer aktuell beschnitten sind. „Der Großteil  davon sind Nicht-Juden."
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Beschneidungen als eine Präventivmaßnahme gegen Infektionen und Geschlechtskrankheiten.

„Studien bestätigen, dass eine Infektion mit Papillomaviren und dem HI-Virus bei beschnittenen Männern wesentlich seltener vorkomme", sagt Klaus Schmitt, ärztlicher Direktor der Frauen- und Kinderklinik Linz. Wenn die Eingriffe fachgerecht durchgeführt werden, spreche aus medizinischer Sicht nichts dagegen. „Komplikationen kommen nur in verschwindend seltenen Fällen vor."

Beschneidung im Islam: Brauch mit hohem Symbolwert

Überlieferungen zufolge  hat sich der Prophet Abraham aus Liebe zu Gott im Alter von 80 Jahren mit einer Axt selbst beschnitten. „Die Beschneidung ist im Islam ein Ritual der Glaubensvorstellung – so wie es in anderen Religionen eben andere gibt", erklärt Universitätsdozent Moussa Diaw von der von der „Muslim Jewish Conference". Obwohl die Beschneidung des Mannes im Gegensatz zum Judentum keine tragende Säule ist, sei sie für Moslems ein unverzichtbarer Bestandteil der Religionsausübung.

Der im Arabischen „Chitan" genannte Brauch sei ein Initiationsritus, der mit einem Fest verbunden ist. „Die Buben werden in schöne Gewänder gekleidet, bekommen einen Kopfschmuck und Geschenke", schildert Diaw.

Die Durchführung sei individuell sehr verschieden: „Beschneidungen werden meist privat oder in einer religiösen Einrichtung zelebriert. In Europa und den USA wird es aber immer öfter in Krankenhäusern gemacht." Üblicherweise geschehe dies im Kindesalter  bis zum 13. Lebensjahr.

Ein wesentlicher Punkt sei auch, dass die Beschneidung zur Einhaltung der Reinheitsgebote – wie auch das Schneiden des Schnurrbartes und der Schamhaare – gehört. Vor- und Nachteile abzuwägen sei für einen Moslem jedoch kein Thema, wenn es um die Chitan gehe, sagt Moussa: „Es ist die Erfüllung einer religiösen Gemeinsamkeit."

Dass dieses essenzielle Symbol im Zuge der Debatte um das Urteil von Köln (siehe Interview Seite 3) infrage gestellt oder gar kriminalisiert wird, löst bei Moslems im deutschsprachigen Raum heftigen Widerstand aus. Auch die Österreichische Schüler- und Studentenunion (ÖSSU), die sich für einen verstärkten Dialog zu Themen wie Migration und Integration einsetzt, sehe darin einen Eingriff in die Religionsfreiheit, sagt Berat Rusiti: „Für Jugendliche, die schon in der zweiten oder dritten Generation in Österreich leben, haben religiöse Bräuche noch einen hohen Stellenwert. Die Beschneidung ist völlig selbstverständlich für uns.“

Im unwahrscheinlichen Falle eines gesetzlichen Verbots in Österreich rechne man mit einem regen „Beschneidungstourismus“ ins Ausland, sind sich Moussa und Rusiti einig.

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