Ein neuer kalter Krieg zwischen China und dem Westen?
Die Geschwindigkeit, mit der China sich seit dem Tod Maos vor 45 Jahren entwickelt hat wird nur übertroffen von der rapiden Kehrtwende in der Einschätzung des Landes. Zwischen wohlwollender Ignoranz und aufgeregtem Alarmismus liegen nur drei Jahre.
Bis 1839 eine Weltmacht
Um die Gegenwart zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte hilfreich. Bis zum Ausbruch des ersten Opiumkrieges 1839 verstand sich China als zentrale Weltmacht, die allen anderen Staaten überlegen war. Das änderte sich schlagartig, als zuerst die Engländer und später noch weitere europäische Mächte mit ihren moderneren Waffen das Kaiserreich besiegten und entlang der Küste koloniale Stützpunkte errichteten. China wurde über ein Jahrhundert lang gedemütigt. Kaiser Wilhelm II.drohte den Chinesen im Jahr 1900, sie derart zu schlagen, dass „es in den nächsten 1000 Jahren niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen“. Shanghai, Kanton und Tsingtau wurden europäische Kolonialgebiete. Einige historische Gebäude und das berühmte Tsingtau Bier sind die positiven Hinterlassenschaften aus jener Zeit.
Nach den Europäern überfielen die Japaner China und wüteten gnadenlos (Nanking Massaker). Dann gab der Bürgerkrieg zwischen Maos Kommunisten und Tschiang Kai Sheks Armee sowie die Kulturrevolution dem Land den Rest. Als der Verfasser dieser Zeilen 1979 erstmals das Land bereiste, sah man kaum Autos auf den Strassen, die Menschen trugen ihre blauen Einheitskleider und die größte Sorge galt der Nahrungsmittelversorgung der Massen. Shenzen, das chinesische Silicon Valley nördlich von HongKong, war da noch ein kleines Bauerndorf.
Beispielloser Aufstieg
Der wirtschaftliche Aufstieg, der dann einsetzte, ist in der Geschichte beispiellos.Heute ist China für viele europäische Firmen der wichtigste Markt. Und nun wandelt sich das Bild und China wird zunehmend als Bedrohung wahrgenommen. Ist diese Bedrohung real? Zweifellos geht die Zunahme der wirtschaftlichen Macht mit einem aggressiveren Außenauftritt einher. China beansprucht fast das gesamte südchinesische Meer bis knapp vor die Küsten anderer Anliegerstaaten als Binnenmeer. HongKong wurde mit drastischen Maßnahmen auf Kurs gebracht und Taiwan droht die Einverleibung ins Festland. Für die chinesische Führung sind das alles interne Angelegenheiten, die andere Länder nichts angingen.
Wenn neu aufsteigende Mächte etablierte Hegemonien ins Wanken bringen, kommt es historisch gesehen häufig zu Konflikten. In der Antike zwischen Sparta und der aufstrebenden Seemacht Athen, ab dem 15.Jahrhundert dann in einer Abfolge der seefahrerischen Weltmächte Portugal, Spanien, Holland und England. Dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen Britannien und Preußen und nun eben zwischen den USA und China. Wird China auf Dauer von den USA und ihren Verbündeten in Schach gehalten werden können?
Derzeit sind die US-Streitkräfte noch stärker
Derzeit sind die US Streitkräfte den chinesischen noch überlegen, aber in 10 Jahren kann es bereits anders aussehen. Eine reale Gefahr ist schon jetzt ein eher zufälliges Aneinandergeraten von chinesischem und US Streitkräften im südchinesischen Meer. Zwei amerikanische Flugzeugträger mit einer Armada an Begleitschiffen zeigen derzeit Präsenz in der Taiwan Straße. Auch Australien, England und Frankreich senden Kriegsschiffe dorthin. China fühlt sich umzingelt und rüstet stark auf. Immer neue Sanktionen gegen erfolgreiche chinesische Unternehmen wie Huawei schaukeln die feindselige Atmosphäre weiter auf.
Parallele USA-Japan in den 1930-er Jahren
Wie gefährlich das sein kann zeigt eine historische Parallele: Als der US Präsident Franklin Roosevelt 1941 einen Wirtschaftsboykott gegen Japan verhängte, alle Öl- und Stahllieferungen blockierte und die japanischen Bankguthaben in den USA einfror, glaubte Japan, militärisch reagieren zu müssen. Fünf Monate später erfolgte der japanische Angriff auf Pearl Harbor, den US Flottenstützpunkt in Hawai und damit die Ausweitung des 2.Weltkriegs in den pazifischen Raum.
Bildung ist in China seit Jahrtausenden immer wichtig und angesehen gewesen. Das Land steckt sehr viele Ressourcen in Ausbildung, Forschung und Entwicklung. Allein in den USA studieren derzeit über 300,000 chinesische Studenten, überwiegend naturwissenschaftliche Fächer. Ohne chinesische und andere asiatische Mitarbeiter wäre die US Hochtechnologie nicht dort, wo sie steht. Es ist eine Illusion, Chinesen vom wissenschaftlichen und technischen Fortschritt auszuschließen.
China will technologische Unabhängigkeit
Wegen der zunehmenden Feindseligkeit des Westens ist es explizites Ziel der chinesischen Führung, von ausländischen Technologien immer weniger abhängig zu sein. Umgekehrt ist der Westen schon heute auf asiatische Lieferanten angewiesen, von Grundstoffen in der Pharmazie bis hin zu modernster Elektronik für industrielle Anwendungen. Und diese Abhängigkeit wird trotz gegenteiliger Absichtserklärungen weiter zunehmen.
Wie sieht Europas Strategie aus?
Wie sollte und könnte eine europäische Strategie aussehen? Ein vollständiges Abkoppeln von China ist kaum möglich und wäre auch extrem teuer: Der Ausblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Ostasien ist einhellig positiv. Wer die Menschen Chinas näher kennengelernt hat, ist beeindruckt von ihrem Fleiß, ihrer Lernbereitschaft und Energie. Es wäre wünschenswert, dass mehr Studenten aus Europa einige Semester in China verbringen um Land und Leute besser zu verstehen.
Aufstieg Chinas ist unaufhaltsam
Der weitere Aufstieg Chinas ist, wenn nicht eine Katastrophe ihn hemmt, unaufhaltsam. Wir werden uns damit abfinden müssen und versuchen, etwaige Konflikte klein zu halten. Unerwünschter chinesischer Einflussnahme in Europa sollte wachsam begegnet werden. Der Ausbau der „Neuen Seidenstraße“ darf nur voranschreiten, wenn er auch den Europäern eindeutige Vorteile bringt. China stellt auf absehbare Zeit aber keine militärische Bedrohung für Europa dar und sollte nicht dämonisiert werden. Die Bäume werden auch in China nicht in den Himmel wachsen. Es gibt viele Probleme im Land: die schnell zunehmende Überalterung ( Folge der Ein-Kind Politik ), soziale Spannungen, Umweltschäden etc.. Wenn sich Europa auf seine Stärken besinnt und konzentriert, hat es keinen Grund zur Angst vor der neuen, alten Weltmacht.
Autor Hans Stockmayr (68) lebt in Peuerbach (Bez. Grieskirchen) und war 30 Jahre lang als Bank-und Finanzmanager in Städten Chinas und Asiens tätig.
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