Der Wirtevernichter

Dem länger schon leerstehenden Gasthaus Köppl in Wankham galt Bernhasds Kritik wohl nicht
Das zweispältige Verhältnis von Thomas Bernhard zu seinen Zufluchtsorten. Von Gerhard Marschall.

„Wenn man hier von Ort zu Ort reist/erlebt man seine Wunder mein Herr/und im Grunde dabei alle Scheußlichkeiten der österreichischen Gastronomie.“ So lässt Thomas Bernhard im Stück Der Theatermacher den Staatsschauspieler Bruscon klagen. „Eine Reise durch diese Gegend ist alles andere als appetitanregend.“

Thomas Bernhard (1931-1989) hatte Wohnsitze in Ohlsdorf, Ottnang und auf dem Grasberg nahe Altmünster. Er war ein notorischer Auswärtsesser, schätzte gute Kost, war andererseits jedoch recht genügsam. „Ein Genussmensch war er nicht“, erinnert sich der ihm zeitlebens zugetane Regisseur Claus Peymann.

Mit einer Knacker zufrieden

„Man brachte ihm eine Knackwurst, und er war glücklich“, wusste sein zeitweiser Wegbegleiter Karl Ignaz Hennetmair zu erzählen. Vor allem ging es Bernhard auf seinen gastronomischen Touren durch die nähere und weitere Umgebung darum, der Einsamkeit zu entfliehen, unter Leuten zu sein, ohne sich deren Gesellschaft aussetzen zu müssen. Zumeist saß er allein an einem Tisch, beobachtete und lauschte. Somit ist es durchaus in eigener Sache zu verstehen, wenn im Roman Der Untergeher der Ich-Erzähler den verstorbenen Freund zitiert: „Aber Wertheimer ging sehr oft in dieses Gasthaus essen, wenigstens einmal am Tag will ich Menschen sehen, sagte er, und ist es auch nur diese verwahrloste, dreckige Wirtin. So gehe ich von einem Käfig in den anderen.“

Wirtshäuser als Existenzorte

Bernhard brauchte die Wirtshäuser als Existenzorte, ohne ihnen freilich Dankbarkeit zu erweisen. Das gehörte nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften. In Der Untergeher holt er zur rigorosen Vernichtung aus. „Vor den österreichischen Gasthäusern hat es mich immer geekelt, dachte ich“, sagt der Ich-Erzähler. Die Rede ist von „Wankham, dem scheußlichsten aller mir bekannten Wirtshäuser“. Und generell: „Die österreichischen Gasthäuser sind alle verschmutzt und sind unappetitlich, dachte ich, kaum dass man in einem dieser Gasthäuser ein sauberes Tuch auf den Tisch bekommt, ganz zu schweigen von einer Stoffserviette.“

Die Dichtlmühle

In Wankham in der Gemeinde Regau, an der Bahnlinie Attnang-Gmunden, gab es das Gasthaus Köppl. Es wurde vor rund 15 Jahren geschlossen. Vermutlich war Bernhard auch hier eingekehrt. Wo nicht? Dem Landwirtshaus mit Metzgerei und schönem Garten wird die böse Beschreibung nicht gerecht. Es hieß auch nicht wie im Roman „Dichtelmühle“. Eine Gaststätte namens „Dichtlmühle“ gab es gut zehn Kilometer entfernt in der Ortschaft Kufhaus, Gemeinde Pinsdorf. Auf dieses passt die Beschreibung eher, erinnern sich Zeitzeugen. Auch hat sich hier, wie im Roman, ein Mord zugetragen. Das Gasthaus existiert ebenfalls seit Langem nicht mehr. Bernhards Pauschalkritik an der Gastronomie lässt sich somit nicht festmachen. Aber es ging ihm bei den Ortsnamen ohnehin oft nur um den Wortklang, und gern vermischte er Realität und Fiktion. In Gaspoltshofen habe er nach dem Tod des Vaters keine Existenzmöglichkeit gehabt, erzählt der Wirt von Utzbach im Theatermacher. Und die Mutter, fragt Bruscon? Auch verstorben. Woran? „An der Gastronomie“, sagt der Wirt. „Es gibt nichts Tragischeres als das Pächterschicksal, und erst das gastronomische“, weiß Bruscon. In gewisser Weise greift Bernhard hier dem grassierenden Wirtshaussterben vor. Wie alles ist auch die Gastronomie vergänglich.

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