"Kampf ist nur in Tschechien zu gewinnen"

Das AKW Temelin ist nur 50 Kilometer von der Grenze zu Oberösterreich entfernt.
Trotz der Proteste in Oberösterreich ging vor 15 Jahren das grenznahe AKW Temelin in Betrieb. Ob es ausgebaut wird, ist vor allem eine Geldfrage.

Bei der Gedenkveranstaltung des Anti Atom Komitees am Samstag in Wullowitz wurden Erinnerungen wach an den Herbst 2000: Damals protestierten Tausende Oberösterreicher gegen die Inbetriebnahme des tschechischen Atomkraftwerks Temelin. Grenzübergänge wurden blockiert, Protestmärsche organisiert, ja sogar eine Mahnwache mit Liedern und Gebeten. "Ich war selbst vor Ort. Die Menschen haben ein starkes und beeindruckendes Zeichen gegen die Atomkraft gesetzt", erinnert sich Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP). "Es war ein Aufschrei der Zivilgesellschaft", meint Landesrat Rudi Anschober (Grüne), damals Klubobmann im Landtag.

Die hartnäckigen Proteste konnten Temelin nicht verhindern. Der nur 50 Kilometer von der Grenze entfernte Meiler läuft seit 15 Jahren und soll sogar ausgebaut werden, wenn es nach der tschechischen Regierung geht. Zwar wurde dem Betreiberkonzern CEZ 2014 staatliche Garantiezahlungen verwehrt, worauf dieser die Ausschreibung für zwei weitere Blöcke stoppte.

Atomstrategie

Doch schon im heurigen Mai hieß es aus Prag, dass Tschechien in Zukunft die Atomkraft forcieren und den Anteil der Nuklearenergie schrittweise auf über 50 Prozent steigern wird. Die Atomstrategie sieht vor, dass in Temelin und Dukovany, 100 Kilometer nördlich von Wien, zunächst je ein neuer Block errichtet wird. Die Ausschreibung könnte schon 2016 erfolgen.

Offen ist dabei allerdings die Frage der Finanzierung: Weil sich Kernenergie angesichts extrem niedriger Strompreise nicht rechnet, werden die Atomkonzerne zu Subventionsempfängern der öffentlichen Hand. Präzedenzfall ist der geplante Ausbau des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point.

Die EU-Kommission hatte im Oktober 2014 grünes Licht für Staatshilfen gegeben. Unter anderem wird Großbritannien damit erlaubt, über 35 Jahre einen garantierten Preis für den Strom aus dem Meiler zu zahlen. Der wäre mit über 100 Euro pro Megawattstunde zumindest derzeit drei Mal so hoch wie der Marktpreis. Laut einer Studie im Auftrag von Greenpeace ergibt sich damit bis 2057 ein Subventionsbedarf von 108,6 Milliarden Euro.

Auch der Ausbau von Temelin könnte mangels anderer Financiers mit tschechischen Steuermilliarden gestützt werden, um die Atomstrategie der Regierung durchzusetzen.

Gerichtsentscheid

Ob das nicht wettbewerbswidrig und somit illegal ist, entscheidet der Europäische Gerichtshof. Denn Österreich hat gegen die Entscheidung eine Nichtigkeitsklage eingebracht, der sich nun auch Luxemburg angeschlossen hat. Die Chancen, dass Österreich recht bekommt, stehen gut, glaubt Anschober. Dennoch müsse auch in Tschechien weiter Überzeugungsarbeit gegen Atomkraft geleistet werden. "Den Kampf gegen Temelin gewinnen wir nur dort."

Denn ganz anders als in Österreich steht im nördlichen Nachbarland noch eine große Mehrheit hinter der Atomenergie. 78,4 Prozent der Tschechen sind laut einer Umfrage für den Ausbau von Temelin und Dukovany, nur jeder Zehnte spricht sich dagegen aus.

Wie störanfällig das tschechische Kernkraftwerk Temelin ist, zeigte sich Anfang Juli: Die Aufsichtsbehörde gab bekannt, dass in Block 2 eine Undichtigkeit zwischen Primär- (radioaktiv) und Sekundärkreislauf (nicht radioaktiv) festgestellt worden sei. Zumindest am Dach des Gebäudes sollen darauf erhöhte Strahlenwerte gemessen worden sein.

Manfred Doppler, Geschäftsführer des Anti-Atom- Komitees, hält Temelin für einen der gefährlichsten Atommeiler in Europa. Er untermauert das mit einer Auskunft des Umweltministeriums, wonach es dort in den vergangenen zwölf Jahren zu 26 meldepflichtigen Ereignissen kam. Nur im französischen AKW Fessenheim waren es mehr (51 Vorfälle).

„Gefährlich sind vor allem die Leitungen zwischen Primär- und Sekundärkreislauf, die es in Temelin nur in einfacher Ausführung gibt und die einem extrem starken Druck von 60 Bar standhalten müssen“, sagt Doppler. Bei einem Problem sei die Kühlung des Reaktors in Gefahr. Doppler: „Wenn die Kühlung ausfällt, haben wir ein zweites Fukushima mitten in Europa.“ Um einem solchen Worst Case vorzubeugen, fordert das Anti-Atom- Komitee in Temelin regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen durch unabhängige Experten.

Für den Betrieb von Temelin wurden zwischen Tschechien und Österreich im Ende 2000 zwar umfassende Vereinbarungen getroffen. Das Melker Protokoll, federführend verhandelt vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Milos Zeman (damals Ministerpräsident, heute Staatspräsident) wurde von Tschechien allerdings nur sehr lückenhaft eingehalten. 2006 wollte Österreich deshalb eine Klage einbringen, besaß dafür aber kein Rechtsmittel.

„Das Melker Protokoll war rückblickend eine Beruhigungspille für die Bevölkerung“, sagt Doppler. Gleichzeitig war die Vereinbarung aber auch eine Folge europaweit einzigartiger Proteste. Allein der Grenzübergang in Wullowitz war von 8. bis 15. Oktober und von 2. bis 9. November 2000 blockiert. Zur Abschlusskundgebung kamen etwa 10.000 Menschen an die Grenze.

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