Den inneren Schatz entdecken
Mit strahlenden Augen stehen zwölf Menschen im Kreis, in dessen Mitte Kerzen und Blumen drapiert sind. Voll Inbrunst stimmen sie, während sie ihre Hände in die Höhe strecken, zur Gitarrenmusik ein eingängiges Lied an: „Ich vertraue dem Fluss des Lebens. Ich vertraue dem Fluss des Seins. Ja, ich fühle mich sicher, heute und morgen, frei und dennoch geborgen.“ Dabei handelt es sich nicht, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, um einen Gebetskreis. Vielmehr ist es eine einwöchige Sing-Kur, die im Gymnastikraum des Kurhauses Bad Kreuzen im Mühlviertel über die Bühne geht. Es ist die erste ihrer Art in Europa. „Wir wissen zumindest nicht, dass es schon irgendwo anders eine gegeben hätte“, erklärt Musiktherapeutin Marion Spinka.
Wirkung
Das Trällern habe sehr viele positive Effekte auf den gesamten Körper. „Er wird mit Sauerstoff versorgt, der Herz- und Atemrhythmus kommen in Gleichklang. Außerdem findet man Zugang zu den eigenen Gefühlen. Im Idealfall fühlt man sich auch glücklicher, weil dadurch Endorphine frei gesetzt werden.“ Und dieser Idealfall dürfte in Bad Kreuzen bei den Teilnehmern, die ihre Lieder gemeinsam sieben Tage lang in einer Gruppe anstimmen, eingetreten sein. „Ich habe selber bemerkt, wie sich die Personen verändern, sich öffnen sich und werden weicher“, berichtet Musiklehrer Bohdan Hanushevsky über seine Beobachtungen. „Es können auch Tränen fließen, weil bei den Teilnehmern eine so große Vertrautheit herrscht.“
Besondere Voraussetzung müssen die Barden nicht mitbringen. Eingeladen seien jene, die „ihren inneren Schatz entdecken wollen“. „Die Teilnehmer müssen nicht singen können, das ist wichtig. Wir machen auch nicht das herkömmliche Chorsingen mit der klassischen Aufteilung der Stimmlagen. Wir singen mehr mit dem Herzen“, betont die Musiktherapeutin. Auf dem Programm stehen vielmehr eingängige, mantraartige Gesänge. „Die Lieder haben eine ganz eigene Kraft“, sagt Spinka. „Das ist wie Meditation“, wirft Hanushevsky ein. Das Repertoire ändert sich regelmäßig. „Ich weise jeden Tag ein anderes Element aus der traditionellen europäischen Medizin zu. Neben den bekannten vier Wasser, Erde, Feuer und Luft kommt der Äther dazu“, erklärt die Musikpädagogin.
Morgenandacht
Etwa drei Stunden dauert das heilsame Gruppensingen nach den vormittäglichen Kuranwendungen. Wenn das Wetter passt, verlegen die Leiter es in die Natur. Wer möchte, kann schon in der Morgenandacht der Marienschwestern um dreiviertel sieben Uhr in der Früh die Stimmbänder mit Psalmen in Schwingung versetzen.
Und nach dem kollektiven Gesang bietet Hanushevsky für Gäste mit großer Ausdauer noch Abende mit traditionellem europäischen Ursprung an. Wobei, anstrengend sei das viele Singen nicht, versichern die beiden Kursleiter. Und auch bei den elf Teilnehmerinnen und einem Teilnehmer aus Oberösterreich, Wien und Deutschland macht sich keine Ermüdung breit. „Das ist eine Art von Urlaub“, schwärmt ein Gruppenmitglied. „Ich bin am Mittagstisch gesessen und so zufrieden mit mir gewesen. Ich spüre einen inneren Frieden in mir“, beschreibt eine andere Teilnehmerin mit einem Lächeln im Gesicht.
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