Linzer Bischof: "Schwächung der Mitte ist große Gefahr für Demokratie"

Bischof Manfred Scheuer
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer ist besorgt über die zunehmende Polarisierung, die Schwächung der Mitte und des Mittelstandes.

Manfred Scheuer ist Theologe und stammt aus Haibach ob der Donau. Der 70-Jährige ist seit 2015 Bischof von Linz und war vorher zehn Jahre Bischof von Innsbruck.

KURIER: Die römisch-katholische Kirche hat einen neuen Mann an der Spitze. Wie schätzen Sie Papst Leo XIV. ein?

Manfred Scheuer: Ich halte solche Übergänge für nicht so gravierend. Das ist Teil des Lebens. Mit Franziskus waren viele positive Erfahrungen und Hoffnungen verbunden. Sein Sterben hat gezeigt, dass er Zugang zu den Menschen gefunden hat. Die Bewahrung des Friedens und der Schöpfung haben global Resonanz gefunden. Der neue Papst war für viele, auch für mich, unbekannt.

Obwohl er Leiter der Bischofskongregation war.

Das war er seit eineinhalb Jahren. Einige österreichische Bischöfe hatten in dieser Funktion schon sehr viel mit ihm zu tun. Ich nicht. Er bringt einen anderen Stil ein, ein bisschen Nüchternheit. Ich meine, er wird den synodalen Weg fortsetzen. Das ist gut so. Er wird bestimmte Themen, so auch das Thema Frieden, stark betonen. Natürlich zeigt sich hier mehr die Ohnmacht als die Macht eines Papstes. Durch die Namenswahl hat er an Leo XIII. (1810–1903) und an seine soziale Botschaft angeschlossen. Meiner Meinung nach hat er auch an Leo I. (400–461) angeknüpft, der in einer Umbruchzeit, in einer Zeit des kulturellen und politischen Zusammenbruchs, Papst gewesen ist und da eine ordnungsstiftende Kraft entwickelt hat. Er ist von der Theologie her Augustiner. Ich vermute, dass er die Tradition aufgreift, transformiert und weiterführt. Aber es ist nicht diese Zäsur, wie das auch manche in der Diözese sehen, dass die Kirche erst mit dem II. Vatikanischen Konzil begonnen hat.

Sie waren mit einer Delegation von Pro Oriente in der Woche nach Ostern in Nicäa, einer kleinen Stadt eine Autostunde außerhalb von Istanbul, wo vor 1.700 Jahren das erste Konzil stattgefunden hat. Papst Leo XIV. war ebenfalls kürzlich bei seiner ersten Auslandsreise dort. Was bedeutet Nicäa?

Es war das erste große ökumenische Konzil, das gesamtkirchlich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte rezipiert wurde. Die Rezeption ist damit konstitutiv für die Geltung und den Anspruch eines Konzils. Nicäa ist nicht bloß ein Gedankensystem, sondern ein Bekenntnis des Glaubens an den lebendigen Gott, der sich in Jesus Christus unwiderruflich als Liebe offenbart hat. Gott ist einer in drei Personen. Er ist letztlich nicht nur ein Punkt, sondern eine Beziehung. Die Einheit ist eine Einheit der Liebe und der Gemeinschaft.

Was verbinden Sie noch mit Nicäa?

Ich verbinde auch die Frage, wie kann sich der Glaube in andere Kulturen und Denksysteme inkulturieren. Wie universal ist das Christentum? Damals stellte sich die Frage, wie kann sich der Glaube in der griechischen Kultur und Philosophie und im römischen Recht und Leben übersetzen. Wenn diese Übersetzung nicht gelingt, bleiben wir steril, im Ghetto und unwirksam. Wem gilt die Botschaft Jesu? Die Antwort damals lautete, allen Völkern, allen Denksystemen, allen Menschen.

Wird durch Leo XIV. etwas anders?

Ich darf hier auf Papst Franziskus zurückkommen. Nach Joseph Ratzinger (1927–2022) ist auch nicht alles anders geworden. Oder nach Johannes Paul II. (1920–2005). Es ist eigentlich vieles in einer gewissen Kontinuität geblieben. Veränderungen in der Kirche finden zum einen durch konkrete Personen wie Päpste statt, zum anderen durch massive äußere Vorgänge. So waren zum Beispiel die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder der Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 Kulturbrüche.

In der Resonanz auf die Katastrophen des Zweiten Weltkriegs und der Schoah suchte man nach einem Fundament des Lebens, wo die Würde und Freiheit des Menschen stärker in den Blick kamen. Es gibt positive Aufbrüche, aber auch Vergeßlichkeiten. Wir haben schon relativ viel vergessen von dem, was das II. Vatikanische Konzil eigentlich wollte.

Nämlich?

Zum Beispiel, dass Gott sich in Jesus Christus geoffenbart hat. Wir tun uns auch mit der Zeitgenossenschaft gar nicht so leicht, die in der Pastoralkonstitution stark unterstrichen ist. Viele stecken in der eigenen Blase. Die Globalisierung ist, so hat sie Papst Franziskus beschrieben, nicht eine universale Kommunikation und Solidarität, sondern sie ist eine Globalisierung der Gleichgültigkeit gewesen. Insofern gibt es nicht den linearen Fortschritt der Freiheits- und Solidaritätsgeschichte. Gelten Menschenrechte überhaupt noch für alle? Haben wirklich alle Menschen die gleiche Würde? Wenn man sich die Kriege und die wirtschaftlichen Entwicklungen ansieht, stehen wir mit einer Friedensethik ziemlich ohnmächtig da.

Die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen nimmt zu, zuletzt zwischen Thailand und Kambodscha.

Es fehlt an der Plausibilität, dass es wichtig wäre, Frieden zu schaffen. Wenn es einige aus finanziellen Gründen nicht interessiert, dass Frieden ist, gibt es keinen Frieden. So geht doch ein bestimmter Präsident vor.

Welchen Einfluss haben die Auseinandersetzungen im Gaza-Streifen auf die Kirche bzw. welche anderen Einflüsse wirken derzeit auf sie?

Papst Franziskus hatte eine große Sympathie mit dem Judentum, auch aufgrund seiner persönlichen Freundschaften. Er hat einen argentinischen Priester, der in Gaza gewirkt hat, täglich angerufen. Die Suche nach Vermittlung und Frieden war damals intensiv. Der Papst war aktiv bei den Versuchen, Geiseln zu befreien.

Die Frage ist auch, welche Reichweite hat eine Friedensbotschaft? Das II. Vatikanum hat darauf verweisen, dass es keinen gerechten Krieg gibt, sondern vielleicht die Anwendung einer gerechtfertigten Gewalt unter bestimmten Bedingungen. Wie Opfer zu schützen und die Verhältnismäßigkeit der Gewalt.

Was ist die größte Herausforderung für Sie als Bischof?

Ich habe da selber kein Ranking. Das, was ich jetzt gerade tue, ist im guten Sinn ein Kairos (griech., der gute, richtige entscheidende Augenblick). Natürlich frage ich mich des Öfteren, ob das, was ich mache, den Prioritäten des Evangeliums und Jesu Christi entspricht. Ob das vor Gott und konkreten Menschen Bestand hat.

Was ist die Hauptfrage, die die Diözese Linz betrifft? Die Neuordnung der Pfarren, die nun so groß sind wie früher die Dekanate?

Wir haben von Anfang an gemeint, dass die Institutionen und die rechtlichen Strukturen nicht den Kern des Glaubens ausmachen sollen. Sondern dass es um eine Vertiefung und eine Weitung des Glaubens geht. In dem Sinn, dass wir kommunikationsfähig bleiben. Die Kirche braucht die Feier des Glaubens, die Feier des Todes und der Auferstehung Jesu. Die Feier der Hoffnung und dass das Leben zu bejahen ist. Das ist nicht zu lösen vom sozialen Verhalten, von der Caritas, vom Einsatz für Gerechtigkeit. Ohne die Feier einer lebendigen Beziehung zu Gott wird aber das Ganze zu einem Moralprogramm.

Vor welcher Herausforderung steht Oberösterreich?

Grundsätzlich bin ich dankbar, in diesem Land zu leben. Ich bin inzwischen auch wieder gerne da. Es war eine Veränderung, die nicht ganz glatt war.

Ich möchte den Politikern einmal danken für die Arbeit, dass viel gelingt. Das Jammern findet auf einem hohen Niveau statt. Es gibt wirtschaftliche und damit soziale Herausforderung, bei denen ich schon das Vertrauen habe, dass der grundsätzliche Wille zum Miteinander da ist. Wie belastbar die Solidarität ist, muss sich erst in Krisen zeigen. Ich hoffe allerdings schon auf eine gute Entwicklung.

Wie ist der Umgangston, wie reden wir miteinander? Das ist eine wichtige Frage für die Demokratie. Ich will nicht von einer Spaltung in der Gesellschaft reden, aber es werden die Pole, die Extreme eher gestärkt und die gesellschaftliche Mitte und der Mittelstand werden geschwächt. Auf Dauer ist das eine große Gefahr für eine liberale und soziale Demokratie. Dieses Miteinander von liberaler Demokratie, von Sozialstaat und ökologischer Ausrichtung halte ich für das Entscheidende.

56 Prozent der 1,5 Millionen Oberösterreicher sind römisch-katholisch. Die Kirchenaustritte halten an, sie haben sich aber abgeschwächt.

Es hat sich im vergangenen Jahr abgeschwächt. Natürlich haben Statistiken ihre Auswirkungen. Man hat nicht immer im Sinn des Evangeliums agiert, wo es heißt, am Anfang war das Wort und nicht die Zahl.

Im Mittelpunkt steht der Mensch. Es gibt unterschiedliche Zugehörigkeiten zur Kirche, von Nähe und Distanz. Es gibt jene, die drinnen sind und doch weiter weg, und andere, die weg und doch innerlich näher sind. Kirche braucht einen lebendigen Kern. Für die Feier der Liturgie braucht es eine lebendige Gemeinschaft, damit andere, die von außen dazukommen, andocken können. Wenn es bei einem Gottesdienst nur Touristen gäbe, wäre das eine museale Führung.

Ich bin allen dankbar, die sich in der Kirche engagieren und die den Kirchenbeitrag leisten.

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