Bischof: "Es gibt auch dumme Formen von Religion"

Bischof Manfred Scheuer
Bischof Scheuer über die Schwierigkeiten des Einarbeitens, über die weniger werdenden Christen und die letztlich doch positiven Beiträge von Religionen für die Gesellschaft.

Manfred Scheuer (61) ist seit 13 Monaten Bischof von Linz. Zuvor war er 13 Jahre Bischof von Innsbruck.

KURIER: Haben Sie noch Sehnsucht nach Tirol, von der Sehnsucht nach den Bergen abgesehen?

Manfred Scheuer: In 13 Jahren in Tirol ist schon etwas gewachsen, an Beziehungen, an Aufgaben, an Zugehörigkeit. Ich kann die Aufgabe nur erfüllen, wenn ich mich einlasse und die Menschen mag. Dann wegzugehen ist nicht ganz einfach. Ich bin weg, aber eine gewisse Trauer ist schon da.

Seit Ihrem Abgang ist die Diözese Innsbruck unbesetzt. Seit länger als einem Jahr haben Sie keinen Nachfolger.

Man hätte gehofft, dass es etwas schneller geht. Aufgrund von unterschiedlichen Konstellationen, die teilweise schon in Innsbruck selbst, aber auch auf anderer Ebene liegen, hat es sich etwas verwickelt. Es ist die Frage, ob es gut ist,dass es schon 13, 14 Monate dauert.

Wie war das erste Jahr hier in Linz?

Ich kann noch keine Bilanz ziehen, denn ein Jahr ist kurz. Ich habe den normalen Rhythmus eines Kirchenjahres, eines Arbeitsjahres durchgemacht. Ich habe zu den meisten Gruppen, Regionen, Interessensvertretungen und Parteien Kontakte gehabt. Es ist ein erstes Herantasten. Ich bin da überhaupt noch nicht souverän. Es ist der Beginn eines Weges. Ich habe mich schon manchmal gefragt, ob es richtig war, dass ich Ja gesagt habe. Ich bin nicht unbedingt euphorisch gewesen, aber das bin ich auch sonst nie gewesen. Ich glaube, es war ingesamt richtig. Ich glaube, dass ich in den Bereichen, wo ich unsicher bin, nach wie vor geführt werde. Die Arbeitsabläufe, die Entscheidungsfindungen und die Machtkonstellationen laufen überall anders. Sie wahrzunehmen, sie zu durchschauen, zu analysieren und anders anzusetzen geht nicht so schnell. Ich habe auch nicht von vornherein eine vertraute, eingearbeitete Mannschaft. Sie arbeitet sehr gut. In einem doch größeren Betrieb wie der Diözese sind doch unterschiedliche Typen. Es geht nicht darum, dass sie mir entsprechen, sondern sie sollen Ansprechpartner sein für Menschen,die mit mir nicht können. Das ist noch in der Phase von Versuch und Irrtum. Wer kann mit wem? Da habe ich noch nicht die Routine. Es braucht für mich noch viel Energie, Zeit und Aufmerksamkeit, wie manche Abläufe und Konflikte bearbeitet werden. Diese gehen mir in anderen Bereichen ab, zum Beispiel beim inhaltlichen Denken oder im Vorausdenken im pastoralen Bereich, wie es da weitergeht. In Summe gibt es eine gewisse Grundzufriedenheit, aber auch relativ viele offene Baustellen. Auf der Suche nach einem halbwegs vernünftigen Tages- und Arbeitsablauf. Und auf der Suche nach einer Lebenskultur, die meinem bald 62-jährigen Leib noch angemessen ist.(lacht)

Sie sind ja voll fit.

So schlecht bin ich eh nicht beieinander. Abends habe ich schon Ermüdungserscheinungen. Ich kann da nicht mehr großartig etwas schreiben. Oder so viel studieren. Es gab im vergangenen Jahr nicht nur Hoch-Zeiten, sondern Zeiten starker Beanspruchung. Wobei ich mir schon bewusst bin, dass das noch eine gewisse Schonzeit war. Sie haben mir noch nicht alles zugemutet, was da ist. Das kommt erst nach und nach.

Wo sind die Baustellen?

Das sind die Personalfragen und die Pfarrbesetzungen. Die Frage, wie sich die kirchliche Struktur weiterentwickelt, wie es im Pfarrgemeindeleben und in den anderen Orten kirchlicher Vollzüge weitergeht. Die Bildungslandschaft ist auch eine offene Baustelle.

Zum Beispiel die Pädagogische Hochschule.

Ich bin der Protektor oder Großkanzler oder Träger vom Stiftergymnasium, vom Petrinum, von der Pädagogischen Hochschule und von der katholischen Universität. Die neue LehrerInnenausbildung ist eine riesige Baustelle, die uns sehr fordert. Weiters die Schulentwicklung, der Nachwuchs im Religionsunterricht. Wie sich das entwickelt im Kontext des interreligiösen Gesprächs und laizistischer Bewegungen, die versuchen, Religion aus dem öffentlichen Raum hinauszudrängen. Ein Symbol ist die Kreuzdiskussion.

Sie werden den Standpunkt vertreten, dass das Kreuz in den Schulen bleiben soll?

Das hängt mit der konkreten Situation in einer Klasse zusammen. Ich halte die Regelung, dass das Kreuz bleibt, wenn mehr als die Hälfte Christen sind, für gut. Es wird sich aber manches ändern, weil die religiöse Prägung alles andere als selbstverständlich ist.

Das ist eine gewisse Sorge.

Das ist eine Wahrnehmung. Ich habe mich dem einfach zu stellen. Die Statistiken für den Religionsunterricht schauen eigentlich ziemlich gut aus. Da muss man aber schon wahrnehmen, wie die Entwicklung in 15 Jahren aussieht.

Die Entwicklung geht in die Richtung, dass die Christen eine Minderheit werden.

Teilweise. Es gibt schon auch andere Bewegungen. In den 1970-er Jahren wurde ganz stark von einer Säkularisierung gesprochen. Auch in den Philosophien war es relativ klar, dass Religion ein Auslaufmodell ist. Das religiöse Zeitalter werde durch das wissenschaftliche abgelöst. Das hat sich inzwischen relativiert. Peter Berger spricht von der Wiederkehr der Engel und des Religiösen. Religion wird auch politisch wieder heftiger diskutiert als das schon einmal war. Das hängt mit dem Islam zusammen,aber auch mit manchen Strömungen im Christentum. Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Formen von Religion, es gibt aufgeklärte und erleuchtete, es gibt manchmal auch wirklich dumme Formen. Es gibt in den Religionen Friedens-, aber auch Gewaltpotenziale. Es ist so ein Phänomen nicht automatisch gut oder automatisch schlecht. Es ist Ideologie auf beiden Seiten da.

Ich glaube schon, dass die Gesellschaft als Ganzes Schaden leiden würde, wenn sie auf das Potenzial der Religionen verzichten würde. Das betrifft die Spiritualität und die Trostfunktion im individuellen Bereich.Natürlich ist Religion auch so etwas wie Kontingenzbewältigung (Kontengenz=Offenheit und Unsicherheit menschlicher Erfahrungen, Anm.d.Red.), auch wenn ich sie darauf nicht reduzieren möchte. Religion ist auch wichtig für eine Werte- und eine Rechtsdiskussion.Wenn Grundrechte keine Wertebasis mehr hätten, wäre es fatal. Bis dahin, dass Religion auch eine Kulturfrage ist. Ich glaube schon, dass das Christentum im Land zur Archtektur und Raumgestaltung beigetragen hat. Religion hat auch eine innere Befindlichkeit. Auch das Solidaritätspotenzial ist in den Kirchen durchaus gegeben.

Es gibt wenig gesellschaftliche Gruppen, wo das Solidaritätspotenzial so hoch ist wie in den Kirchen.

Wenn ich das mit einer Bereitschaft zur Selbstkritik, aber auch mit einem gewissen Selbstwertgefühl anschaue, ist Religion für die Gesellschaft positiv.

Den zweiten Teil des Interview lesen Sie am kommenden Sonntag.

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