"Bis kein Vertriebener mehr lebt"

Obmann Peter Ludwig wünscht sich eine Restitution nach serbischem Vorbild
Landesobmann der Sudetendeutschen glaubt nicht, dass der nördliche Nachbarstaat seine Vergangenheit aufarbeiten will.

2015 ist nicht nur das Jahr, in dem sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal jährt. Heuer sind auch sieben Jahrzehnte vergangen, seit nahezu alle deutschsprachigen Bürger der Tschechoslowakischen Republik – rund 2,9 Millionen Menschen – pauschal zu Staatsfeinden erklärt, enteignet und vertrieben wurden. Mehr als 241.000 Männer, Frauen und Kinder sollen ums Leben gekommen sein. Der KURIER sprach mit Peter Ludwig, dem Obmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Oberösterreich.

KURIER: Herr Ludwig, wie würden Sie die aktuelle Situation der Vertriebenen, fast 26 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Diktatur in unserem nördlichen Nachbarland, einstufen?

Peter Ludwig: Nun, die Betroffenen und ihre Nachfahren können heute zwar jederzeit ungehindert die alte Heimat besuchen, das widerfahrene Unrecht ist aber nicht gutgemacht worden. Offizielle Bestrebungen, die seinerzeit erfolgten Verbrechen offen einzugestehen und konsequent aufzuarbeiten, sind nicht erkennbar. Vertreibungen und Enteignungen werden von staatlicher Seite weiter nur verharmlost und negiert.

Ihre Kritik zielt vermutlich auch in Richtung der umstrittenen Beneš-Dekrete, die trotz Tschechiens EU-Beitritt 2004 weiterhin Rechtsgültigkeit haben?

Ja, bedauerlicherweise ist bei den Beitrittsverhandlungen verabsäumt worden, die uns betreffenden Dekrete und ihre menschenverachtenden Inhalte zu beseitigen.

Haben Sie den Eindruck, dass die heimischen Politiker bei Staatsbesuchen in Tschechien auf die Vertriebenen-Problematik zu wenig hinweisen?

Die Beneš-Dekrete werden meist nur in einer Art Pflichtübung mit einem Satz erwähnt. Vermutlich will man das nachbarschaftliche Verhältnis nicht damit trüben. Im zwischenstaatlichen Dialog sind die Themenbereiche Wirtschaft und Kultur ganz klar dominierend.

Könnte der Umstand, dass sich die serbische Regierung dazu durchgerungen hat, die vertriebenen Donauschwaben materiell zu entschädigen, nicht auch für Tschechien ein Anstoß sein, endlich reinen Tisch mit seiner Vergangenheit zu machen?

In diese Richtung sind leider überhaupt keine Anzeichen spürbar. Ich befürchte vielmehr, dass Tschechien die Restitutions-Problematik einfach so lang aussitzen will, bis von den Vertriebenen keiner mehr am Leben ist.

Das klingt wenig optimistisch?

Leider ist das ein Resultat der negativen Erfahrungen, die wir im Lauf der Jahrzehnte machen mussten. Für künftige Generationen in Tschechien wäre eine Nichtaufarbeitung der Vergangenheit jedoch eine schwere Bürde.

Was halten Sie von der Projektidee eines gemeinsamen tschechisch-österreichischen Geschichtsbuchs?

Ich bin skeptisch – viel mehr als der kleinste gemeinsame Nenner wird vermutlich nicht herauskommen.

Welche Projekte verfolgt die Landsmannschaft derzeit?

Wir sind mit dem Aufbau einer sudetendeutschen Bibliothek beschäftigt. Auch nachfolgende Generationen sollen die Möglichkeit haben, Einblicke in unsere Bräuche und Kultur zu gewinnen.

Die sudetendeutsche Gedenktafel an der Linzer Nibelungenbrücke wurde mehrfach geschändet. Wurden Täter überführt?

Nein, die Polizei hat keine Verdächtigen ausgeforscht. Die Tafel ist schon drei Mal beschmiert und ein Mal zerbrochen worden. Nach dem letzten Anschlag wurde die Oberfläche speziell behandelt, um Schmierereien künftig leichter entfernen zu können.

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