Wo die Armut versteckt ist
Wurst, Käse, Zucker und andere Grundnahrungsmittel schlichtet Trude K. (Namen geändert) in ihr Sackerl bei der Kassa. "Damit komme ich eine Woche über die Runden", sagt die 72-Jährige. "Ohne den Sozialmarkt würde ich es nicht schaffen." Sie ist eine von rund 40 Menschen, die am Donnerstagvormittag beim SOMA Klosterneuburg ihre Einkäufe erledigt.
Klosterneuburg (Bezirk Tulln) stellt sich gerne als prestigeträchtige Stadt dar, die Bewohner verfügen über einen hohen Bildungsgrad, die Mieten sind hoch, das Leben teuer. "Armut ist bei uns versteckt. Es betrifft beispielsweise eine ältere Dame, die in der Villa ihres verstorbenen Ehemanns sitzt und sich die Heizungskosten nicht leisten kann", sagt SPÖ-Stadtrat Stefan Mann. Die Hemmschwelle, hier einen SOMA aufzusuchen, sei dementsprechend groß.
"Man muss zugeben, dass es einem nicht gut geht. Dieses Outing ist ein großer Hemmschuh hier", sagt Claudia Zwingl, Sprecherin von SOMA NÖ. Auch in Mödling, ebenfalls eine Stadt, die als "reich" gilt, gibt es einen SOMA. "Auch dort geniert man sich, hinzugehen. Aber dort gibt es ein größeres Einzugsgebiet. In Klosterneuburg kommt hinzu, dass man die Angst hat, erkannt zu werden", sagt der Geschäftsführer Wolfgang Brillmann. In Klosterneuburg ist es manchmal auch ein Problem des gewohnten Lebensstandards. "Menschen, die vorher zum Beispiel einen hohen sozialen Status durch ihren Ehepartner genossen haben und ihn mit dem Tod von diesem dann verlieren, trauen sich nicht zu zeigen, dass es ihnen nicht mehr gut geht", erklärt Mann. Das Gleiche gelte etwa für gescheiterte Unternehmer.
Der Großteil der Kunden beim SOMA in Klosterneuburg sind aber Pensionisten. "Junge Menschen können wieder Arbeit finden und schaffen es so. Wenn ein Pensionist einmal hergekommen ist, kommt er bis an sein Lebensende", sagt Stefan Mann. Auch Frauen sind in dieser Gruppe überproportional vertreten. So auch SOMA-Kundin Maria N.: "Ich habe vier Kinder und einen Lebensgefährten, der nichts beiträgt. Ich war zehn Jahre bei meinen Kindern daheim. Frauen müssen die ganze Last tragen."
Schwellen abbauen
Die Hemmschwelle soll abgebaut werden – etwa durch Veranstaltungen oder dadurch, dass sich der SOMA in Klosterneuburg neben den anderen Supermarktketten befindet und so normalisiert werden soll. Auch, dass Lebensmittel verkauft werden, die sonst weggeschmissen werden würden und die Einkäufer so zur Nachhaltigkeit beitragen und so "etwas Gutes tun", soll helfen.
"Wenn man die Leute nach dem ‚ersten Mal‘ fragt, sagen alle, dass sie sich geniert haben. Aber dann sind sie froh, dass sie gekommen sind", sagt Zwingl. "Der SOMA hat Greißlerei-Charakter, wo man auch Ansprechpersonen findet", fährt sie fort. Uli Stambera, die Regionalleiterin, erzählt: "Wir hören viele Lebensgeschichten. Wenn jemand die Unterlagen für den Pass bringt, erzählt er, was ihm passiert ist. Man kann unsere Arbeit auch Seelsorge nennen." Besonders berührt hat sie ein alter Mann, der eine tiefgefrorene Gans gebracht hat (man kann auch Lebensmittel abgeben, Anm.), die ihm seine Frau noch zubereiten wollte, doch dann war sie gestorben. "Da habe ich mit den Tränen gekämpft. Er war einsam und hat jemanden zum Reden gebraucht. Seither kommt er regelmäßig", sagt Stambera.
Es gibt aber auch solche Geschichten: "Eine Kundin ist zu mir gekommen und hat gesagt, sie sei böse auf mich, weil sie drei Kilogramm zugenommen hat, weil sie sich wieder Brot leisten kann. Da freut man sich dann."
Voraussetzungen
Drei Mal pro Woche darf man um zehn Euro beim SOMA einkaufen. Die Einkommensgrenze für Einpersonenhaushalte liegt bei 1200 Euro. Die neun Standorte und zwei mobilen SOMAs in NÖ beziehen ihre Lebensmittel von Handel- und Industriebetrieben, die sie sonst wegwerfen würden.
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