Umweltgefährdung? Staatsanwalt prüft Semmering-Basistunnel
Der trübe Sturzbach aus dem Semmering-Basistunnel wird ein Fall für den Staatsanwalt und die Kriminalpolizei. Nachdem Mineure bei den Bagger- und Sprengarbeiten auf der niederösterreichischen Seite des Tunnels auf eine unvorhergesehene Wasserader gestoßen sind, ermittelt die Abteilung für Umweltdelikte des nö. Landeskriminalamtes (LKA) wegen „fahrlässiger Beeinträchtigung der Umwelt“.
Obwohl der Tunnel jahrelang von Geologen durchleuchtet und das problematische Wasseraufkommen im Bergmassiv in -zig Behördenverfahren abgehandelt wurde, hat niemand die derzeit stattfindende Verunreinigung vorher gesehen.
Wie vom KURIER berichtet, wurde beim Zwischenangriff Göstritz 250 Meter unter der Erdoberfläche ein Bergwasser-Reservoir freigelegt. Und zwar ausgerechnet dort, wo das Gleis 2 der Tunnelröhre später durchführen soll.
Die 60 Liter Wasser, die pro Sekunde aus dem Tunnelboden quellen, wären grundsätzlich von der Menge her kein Problem. Wären da nicht die vielen Sedimente, Trübstoffe und Feinstpartikel, die die Pumpen beim zu Tage fördern der Brühe über 250 Höhenmeter verkleben. Oben angekommen, kann nur ein Teil der Trübstoffe abgefiltert werden. Das restliche, milchig-weiße Wasser, wird über den Göstritzbach in die Schwarza gespült.
Über die genauen Inhaltsstoffe und Gefahren der Verunreinigung scheiden sich die Geister. Laut der Gewässeraufsicht des Landes NÖ wurden in dem Wasser mineralische Materialien festgestellt, es gibt überhöhte Messergebnisse bei den Trüb- und abfiltrierbaren Stoffen. Allerdings seien diese Stoffe „als nicht gefährlich anzusehen“. Bei „längeren Einwirkungen“ sind jedoch Schädigungen von Wasserlebewesen zu erwarten.
Weit drastischer sehen es freilich die Tunnelgegner. Die Naturschutzorganisation „Alliance for Nature“ (AFN) hat, wie bereits in den Genehmigungsverfahren, den Sachverständigen für Ingenieursgeologie, Josef Lueger, mit dem Fall betraut.
Düsteres Bild
Und dieser malt angesichts des aktuellen Ereignisses ein düsteres Bild für die Natur. Seiner Expertise nach kommt es auf Grund von Gipspartikeln im Wasser zur Verklebung der Gewässersohlen. „Dadurch werden die dort angesiedelten Lebewesen erstickt und von der Nahrungszufuhr abgeschnitten. Den Fischen fehlt die Nahrungsgrundlage“, so Lueger.
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt und das nö. Landeskriminalamt prüfen derzeit den Anfangsverdacht der Umweltgefährdung. Bestätigt sich dieser, wird die Behörde einen unabhängigen Gutachter mit der Prüfung des Sachverhalts bestellen. Wer das sein wird, das verfolgt die AFN mit Argusaugen. Denn die Befangenheit von Sachverständigen war bereits während der Genehmigungsphase des Tunnels ein heißes Eisen. Die Kritiker bemängelten, dass es zu positiven Beurteilungen durch Gutachter gekommen sei, die fast ausschließlich für die ÖBB tätig waren.
Dass der jetzige Wassereintritt die Prognosen für diesen Abschnitt um ein zig-faches übersteigt, ist für Christian Schuhböck von der AFN ein Beweis „falscher und dilettantischer Berechnungen“.
Nach einem Einwand prüft das Bundesverwaltungsgericht eine Wiederaufnahme des Genehmigungsverfahrens für den Tunnel.
ÖBB: "Gibt kein besser geprüftes Bauprojekt"
Das Bergwasser-Vorkommen im Semmering ist seit fast 30 Jahren zentrales Thema bei der Projektierung des Basistunnels. Weil ein zu großer Wasserverlust prognostiziert wurde, erließ das Land NÖ 1998 für die alte Trassenführung einen negativen Bescheid.
Der Verlauf der beiden, 27,3 Kilometer langen Tunnelröhren, wurde abgeändert und das Projekt schließlich 2011 doch genehmigt. Laut Prognosen fallen durch den Tunnelbau bis zu 38 Millionen Liter Bergwasser pro Tag an. Aller Kritik halten die ÖBB entgegen, dass es kein „besser geprüftes und überwachtes Bauprojekt in Österreich gibt“, sagt Projektleiter Gerhard Gobiet.
Man sehe keine rechtliche Grundlage für eine Wiederaufnahme des bereits abgehandelten Genehmigungsverfahrens. „Die Ereignisse rund um die Wasserzutritte sind grundsätzlich bei Tunnelbauarbeiten dieser Komplexität nicht unüblich“, heißt es bei den ÖBB. Sowohl in der Planung als auch im Zuge der Behördenverfahren habe man derartige Szenarien berücksichtigt.
"Der niederösterreichische Bauabschnitt des Semmering-Basistunnels ist tunnelbautechnisch höchst komplex", sagt ein Sprecher. "Die Gesteinsarten wechseln in sehr kurzen Abständen. Der Berg führt in diesem Bereich auch einiges an Wasser mit sich." Das sei auch aufgrund der langen Planungen bekannt, bei denen das gesamte Projektgebiet mit rund 280 Probebohrungen in eine Tiefe bis 850 Meter untersucht wurde, um möglichst genau Auskunft darüber zu bekommen, wo sich wasserführende Bereiche befinden. "Der feine Sand ist herausfordernd, aber zu bewältigen - das zeigt auch der Erfolg der gesetzten Maßnahmen."
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