Stockerau: Von der Hofdame zur Schlossherrin

„Charmant! Er hat sehr viel, aber nichts gründlich gelernt! Darin besteht die Genialität.“
Ulli Fessl braucht nicht viele Worte, um das Publikum in ihrer Rolle als Frau von Cypressenburg zum Lachen zu bringen. Mitreißend verkörpert sie bei den diesjährigen Stockerauer Festspielen die Figur der Witwe, die in Nestroys „Der Talisman“ ein Auge auf den Protagonisten geworfen hat. Und ihn auch sogleich befördert – bis die Handlung ihre Wendung nimmt.
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Fessl vor der altehrwürdigen Stadtpfarrkirche auf der Bühne steht. Schon 1964, im zweiten Spieljahr der Festspiele, war sie Teil des Stücks „Die Lerche“. Damals führte der Begründer, Otto Kroneder, die Regie. „Ich spielte eine Hofdame“, erinnert sie sich im Gespräch mit dem KURIER. Es war die Zeit, in der ihre Karriere mit einem Engagement im Burgtheater Fahrt aufnahm. Über 40 Jahre sollte sie dem Haus treu bleiben.
Großer Auftritt
Doch auch in der Volksoper, dem Raimundtheater und dem Theater an der Josefstadt hat Fessl gespielt. Stockerau hat für die gebürtige Linzerin dennoch einen besonderen Stellenwert: Für sie war es der erste Auftritt bei einem Sommertheater.
„Ich bin wahnsinnig gerne hier und habe mich so gefreut, als Christian Spatzek mir die Rolle angeboten hat“, erzählt Fessl. Die 83-Jährige hat schon öfter mit dem Festspiel-Intendanten zusammengearbeitet, zum Beispiel in der Komödie am Kai. Und auch die Frau von Cypressenburg hat die Künstlerin schon einmal verkörpert – allerdings vor 25 Jahren.
„Darum habe ich zunächst gesagt: Das ist doch unglaubwürdig, dass ich noch auf Männerjagd gehe“, schildert sie. Eine unbegründete Sorge, wie sich schnell herausstellen sollte. Mit der markanten Textstelle „Man hat sich konserviert“ war für Fessl das Eis gebrochen. „Außerdem habe ich so ein tolles Kostüm bekommen und werde so herausgeputzt, dass sich die Rolle fast von selbst spielt“, sagt Fessl mit einem Lachen.
Für die Schauspielerin schließt sich nach ihrem ersten Auftritt vor 61 Jahren ein Karrierekreis, wie sie sagt.
„Dazwischen liegen sieben Burgtheater-Direktoren und sehr viele Sommerspiel-Auftritte“, macht sie bewusst. Eine Zeit, in der sich auch bei den Festspielen vieles verändert hat.
Lange Geschichte
Nach Kroneder übernahm Jürgen Wilke die Intendanz, ganze 27 Jahre lang brachte er mit Shakespeare oder George Bernhard Shaw große Klassiker auf die Bühne. 1988 schlug man eine gänzlich andere künstlerische Richtung ein: Alfons Haider hatte bis 2012 die Leitung inne und zeigte zum ersten Mal Musicals in der Lenaustadt. Zeno Stanek setzte auf Sprechtheater, während Christian Spatzek voll auf Komödien setzt. Mit einer Spielzeit von 62 Jahren zählen die Festspiele zu den ältesten Freilufttheatern in NÖ.
„Es ist großartig, was hier aufgebaut wurde. Auch das Bühnenbild ist einfach herrlich“, ist die Wienerin Fessl begeistert. Wobei diese Zuordnung nicht ganz richtig ist; die Schauspielerin ist nämlich seit vielen Jahren auch im Waldviertel zuhause, wo sie und ihr verstorbener Mann Kurt Junek ein Bauernhaus gekauft haben.
Noch bis 24. August ist Fessl in Stockerau zu sehen.
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