Im Garten kräht ein Hahn. Hinter dem Haus tuckert ein kleiner Bagger vorbei. Auf einem Hügel heben Männer Erde aus und laden sie auf.
Idyllisch ist es hier, wenngleich auch noch eifrige Betriebsamkeit herrscht. Hier, das ist, wo vor wenigen Jahren noch der obere Rand der Gesellschaft fein gespeist hat: Im ehemaligen Haubenlokal Hanner in Mayerling, Bezirk Baden, ließ sich bis 2016 die Hautevolee verwöhnen.
Nun ist das Gelände Heimat von Menschen, die an den ganz anderen Rand gedrängt wurden.
Elf ehemals obdachlose Menschen haben in der VinziRast am Land ein neues Zuhause gefunden. Morgen, Sonntag, wird das Projekt mit einem großen Fest offiziell eröffnet. Davor wird noch jede Hand gebraucht.
Mit Kollegen schaufelt Philip die Erde vom Hügel an den Rand des Teichs, um die Folie zur Abdichtung zu überdecken. „Ich arbeite, wo ich gebraucht werde“, erzählt er. Seit Jahren schon pendelt er wie viele andere ehemalige Wohnungslose vom Wiener VinziRast Corti-Haus nach Mayerling, um bei der Gestaltung der neuen VinziRast am Land mitzuhelfen.
Nebenan im Glashaus ist eine der drei Bewohnerinnen beschäftigt, rund 20 Gemüsesorten werden hier abgebaut. Den Überblick hat Michael Schmid: Er ist neben Projektleiterin Irina Baumgartner einer von nur zwei angestellten Mitarbeitern und für die Landwirtschaft verantwortlich.
„Ich spüre, wie wir zusammenwachsen“, sagt er. „Wir sind eine Gemeinschaft, ein Team“, meint auch Nabil aus Libyen, der für ein Praktikum in der VinziRast am Land wohnt.
Knapp vier Jahre hat es gedauert, bis es so weit war (siehe Bericht unten). Erst hat Corona die Sanierung des alten Hotelbetriebs verzögert, dann hielten viele bauliche Mängel das Projekt auf. Doch künftig können bis zu 30 Menschen hier Obdach und Beschäftigung finden.
Eine Aufgabe geben
Beim Gemüseanbau, beim Versorgen der Hühner oder in einer der Werkstätten. Das Ziel ist es, den Betroffenen wieder eine Perspektive zu geben, wie Obfrau Veronika Kerres sagt. „Wir wollen hier Menschen stabilisieren, ihnen wieder eine Aufgabe geben.“ Langfristig könnten die Menschen bei der VinziRast sogar eine fixe Anstellung finden.
Zu tun gibt es genug. Denn das Gemüse von den Feldern und aus dem 670 m2 großen Glashaus soll über Gemüseabos oder den eigenen Hofladen bezogen werden können. Dort wird es auch Eier aus eigener Haltung geben.
Besucher will man mit einer Jausenstation und in Hotel- und Pilgerzimmern empfangen – 13 sind übrigens schon gebucht. Seminare und Veranstaltungen gibt es ebenfalls. In zwei Jahren soll sich das Projekt selbst erhalten können, sagt Kernes. Auch gekocht soll in Hanners Küche wieder werden: Geplant ist ein Cateringservice.
In der kleinen Bistro-Küche rührt indes eine Frau in einem Topf mit roten Linsen. Ohrringe in Form von Gabel und Löffel geben einen Hinweis auf ihre Leidenschaft. „Mir war klar, wenn ich nicht mehr arbeite, dann will ich mich sozial engagieren“, sagt Christiane Wilfling, die bis 2020 das Lokal „Basilikum“ in Meidling führte.
"Frau Basilikum"
Mit ihrer Kochkunst könnte sie den Bewohnern eine Freude machen. Einmal pro Woche schwingt „Frau Basilikum“ – wie Wilfling schon mal genannt wird – nun in der VinziRast am Land den Kochlöffel, auch beim Eröffnungsfest tischt sie auf. Brennnesselsuppe etwa, oder getrüffelte Eierspeise und Kokos-Linsen-Aufstrich.
Nützlich sein und etwas zur Gesellschaft beitragen wollen, dieser Wunsch eint Bewohner und Freiwillige. Rund 50 Menschen arbeiten ehrenamtlich bei dem Projekt mit. Viele stammen aus der Region, haben die VinziRast am Land während der Bauphase besucht oder waren selbst einmal von Obdachlosigkeit betroffen. Wie Bruno Öllinger, der künftig die Werkstätten leiten wird.
„Hier bekommt man wieder Boden unter den Füßen“, formuliert es Philip. Ein Dach über dem Kopf und Selbstwert, denn: „Wenn man das Ergebnis seiner Arbeit sieht, dann ist das ein wohliges Gefühl.“ Glück kann sehr einfach sein.
Die Eröffnungsfeier
Die Eröffnungsfeier – moderiert von Kabarettist Gerold Rudle – findet am Sonntag von 13 bis 17 Uhr statt. Neben Musik und Fingerfood gibt es einen Jungpflanzenverkauf: www.vinzirast.at
Projekt dank Spenden und Ehrenamt
Das Projekt VinziRast am Land hat eine lange Vorgeschichte. Nach dem Konkurs von Heinz Hanner 2016 hatte eine Privatstiftung von Hans Peter Haselsteiner das 2,7 Hektar große Areal samt Seminarhotel gekauft und der Vinzenzgemeinschaft St. Stephan zur Verfügung gestellt.
Auch für den Umbau spendete Haselsteiner großzügig. Doch die Pandemie sowie weit tiefgreifendere Renovierungen als ursprünglich gedacht, verzögerten die Eröffnung, wie Planer und VinziRast-Gründungsmitglied Architekt Alexander Hagner erklärt.
Auch weitere Spender unterstützten das Projekt. Etwa mit Solarpaneelen, Baumaterialien oder durch ehrenamtliches Engagement. Denn die Vinzenzgemeinschaft St. Stephan erhält keine öffentlichen Fördergelder. Dazu hat man sich bei dem Verein bewusst entschieden, um mehr Freiheiten bei der Betreuung Obdachloser zu haben.
Keine maximale Verweildauer
So gibt es etwa keine maximalen Verweildauern. Auch akute psychische Erkrankungen sind kein Ausschlusskriterium für einen Platz in einer Notunterkunft. Der Bedarf nach solch niederschwelligen Angeboten sei jedenfalls da, wie auch Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) bei einem Besuch der VinziRast am Land festhielt.
Die Vinzenzgemeinschaft St. Stephan betreibt in Wien auch das VinziRast-Cortihaus sowie die VinziRast-Notschlafstelle und das VinziRast-mittendrinn samt dazugehörigem Lokal.
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