Zivilcourage im Holocaust: „Menschlichkeit ist immer eine Option“

Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs zählen zu den blutigsten der Zeitgeschichte. 228 jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn wurden etwa in der Nacht auf den 3. Mai 1945 in Hofamt Priel (Bezirk Melk) von SS-Männern erschossen. Weil er sich unter einem Strohballen versteckt hatte, überlebte der elfjährige Tibor Yakov Schwarz als einer der wenigen das Massaker.
Familie versteckte ihn
Dass er bis heute lebt, ist aber vor allem auch Maria und Georg Forsthofer zu verdanken. Sie nahmen den Burschen auf und versteckten ihn auf ihrem Bauernhof bzw. in einem Verschlag im Wald. „Nach zwei Wochen hatten sie Angst, mich noch länger bei ihnen zu lassen, weil noch immer Nazisoldaten und Spitzel in der Gegend umherstreiften. Und jeder, der einen Juden versteckte, fand ein bitteres Ende“, erinnert sich Yakov Schwarz.
Durch ihr couragiertes Handeln ging das Ehepaar Forsthofer 2019 offiziell in die Geschichte ein.
Seither tragen sie den Titel „Gerechte unter den Völkern“. Diese Anerkennung vergibt die Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem Jerusalem im Auftrag des Staates Israel an Nichtjuden und Nichtjüdinnen, die während des Holocaust ihr Leben aufs Spiel setzten, um Jüdinnen und Juden zu retten. Österreichweit sind heute mindestes 115 solcher Lebensretter bekannt.
Geschichten aus NÖ ergänzt
Ihre Geschichten werden seit einigen Jahren in der Wanderausstellung „Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung“ erzählt, die ab heute auch im Museum NÖ Halt macht. Nicht nur die Schau selbst feiert Premiere in Niederösterreich, sondern auch die Geschichte der Forsthofers wird dabei nun erstmals erzählt.
„Für die Präsentation bei uns haben wir die Ausstellung zusätzlich durch drei Beispiele couragierter Menschen aus Niederösterreich ergänzt“, so Christian Rapp, der wissenschaftliche Leiter des Hauses der Geschichte in St. Pölten.

Christian Rapp, Martha Keil und Michael John bei der Ausstellungseröffnung.
Da es keine Opfer ohne Täter gibt, werden zum Beginn der Ausstellung österreichische NS-Verbrecher und das dahinterstehende System vorgestellt. Besucher werden etwa durch einen engen „Spalier“ von Täter-Biografien geleitet und somit in eine „klaustrophobische Situation“ gebracht, so Kurator Michael John. „Damit wollen wir den Druck von damals wiedergeben“, erklärt der Historiker.
Biografien sind ein "offenes Buch"
Die Gegenüberstellung von Gerechten und Tätern – der Gegensatz von Hell und Dunkel – wird auf den rund 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche auch tatsächlich durch die Beleuchtung betont. Wie ein „Licht am Ende des Tunnels“ leuchten die Gesichter einzelner Gerechter von im relativ dunklen Raum verteilten Quadern.
Kurzbiografien der Lebensretter können aber auch in einem übergroßen „offenen Buch“ nachgelesen werden. Ergänzt wird die Schau durch Videodokumentationen.
In der Ausstellung werde laut John aber auch den „Grautönen“, den diversen Facetten des couragierten Handelns, Rechnung getragen.
Spontanes Rückgrat
Situationen, die Rückgrat erfordern, können nämlich auf unterschiedlichste Weise zustande kommen: „Einerseits durch persönliche Bindungen und einfach aus Liebe“, weiß die wissenschaftliche Leiterin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (INJOEST) Martha Keil. „Courage kann aber auch aus politischem bzw. religiösem Widerstand oder einfach spontan entstehen.“
Für Gustav Arthofer, Vorsitzender der österreichischen Freunde von Yad Vashem, die die Ausstellung ins Leben riefen, ist aber vor allem eines entscheidend: „Es gilt aufzuzeigen, dass Mut und Menschlichkeit immer eine Option sind.“ Er nahm gemeinsam mit Zeitzeugin Angelica Bäumer an der Eröffnung der Ausstellung am gestrigen Dienstag teil.
Zu sehen ist „Die Gerechten“ noch bis 15. August 2023 im Haus der Geschichte des Museum NÖs in St. Pölten. Info: www.museumnoe.at
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