Obdachlos in St. Pölten: „Viele knabbern an den letzten Reserven“
Lasagne-Geruch liegt beim Betreten des Emmaus-Tageszentrums am Fuße des St. Pöltner Kalvarienbergs in der Luft. Kaum ein Platz an den Mittagstischen ist um kurz nach 12 Uhr noch frei.
Für die meisten Gäste wird das ihr einziges warmes Essen des Tages sein. Unter ihnen ist auch der 42-jährige Selcuk Avcillar.
Leben wieder aufbauen
Zwei Wochen hatte er im Dezember auf den Straßen in Wiener Neustadt verbracht: „Ich hatte mein Leben schon aufgegeben“, erzählt er über die kalten Nächte, in denen an Schlaf kaum zu denken gewesen sei. „Jetzt bau ich es hier von null wieder auf.“
Denn seit Kurzem wohnt er im angrenzenden Wohnheim, das 19 wohnungslosen Männern – sofern sie etwas an ihrer Lebenssituation ändern wollen – ein vorübergehendes zu Hause bietet.
Schutz vor Nacht und Kälte
18 weitere Betten gibt es in der Emmaus-Notschlafstelle in der Kunrathstraße – umgangssprachlich „Villa“ genannte. Diese bietet täglich zwischen 19 und 7 Uhr Schutz vor Nacht und Kälte. Ein Angebot, dass der 61-jährige Gerry vor allem jetzt im Winter nutzt.
Der gebürtige Waldviertler lebt seit 2016, als er nach einem Herzinfarkt aus seiner Wohnung flog, immer wieder ohne Dach über dem Kopf.
„Ich habe mein Leben lang am Bau gearbeitet, dass ich jemals in diese Situation komme, hätte ich nie gedacht“, erzählt er, während er im Aufenthaltsraum ein Skirennen im TV verfolgt.
Oft voll belegt
Dass er das Angebot in der Notschlafstelle nutzen kann, ist nicht selbstverständlich: „Wir sind an 50 Prozent aller Tage vollbelegt“, erklärt nämlich Standortleiter Lorenz Hochschorner.
Wie viele Personen Emmaus ablehnen muss, lasse sich nur schwer sagen. „Die Szene ist gut vernetzt und wir bekommen oft gar keine Anfragen mehr, wenn es keine Plätze mehr gibt. Eine Vollbelegung geht aber am Sinn einer Notschlafstelle vorbei.“
Aufgrund der allgemeinen Teuerung könnte sich diese Situation in Zukunft auch noch weiter zuspitzen: „Viele knabbern noch an den letzten Reserven oder bauen Schulden auf“, spricht Hochschorner von erwartbaren Langzeitfolgen.
Einzig Möglichkeit für ausgewogene Ernährung
Vor allem das Verpflegungsangebot im Tageszentrum – jeden Tag werden 40 bis 60 Portionen ausgegeben – wird momentan immer beliebter: „Für viele ist das hier der einzige Zugang zu einer regelmäßigen, ausgewogenen Ernährung“, erklärt der Leiter. Mit 4,50 Euro ist das Angebot leistbar, selbst wenn auch hier die Preise aufgrund der Teuerung ab 1. März angezogen werden müssen.
Willkommen ist bei Emmaus jeder – egal ob er an seiner Lebenssituation etwas ändern möchte oder nicht. Gerry und Selcuk haben jedenfalls große Ziele: Sie beide wünschen sich ein Haus. Der eine in seiner alten Heimat, dem Waldviertel, der andere in seiner neuen, in St. Pölten.
Notschlafstelle Auffangnetz (für Männer)
Kunrathstraße 33, 3100 St. Pölten
Kontakt von 19 bis 7 Uhr: 0676 88 6 44 750
Tagsüber: 0676 88 6 44 702
Frauen-Notschlafstelle
Stephan Buger-Gasse 13, 3100 St. Pölten
Kontakt: 0676 88 6 44 582
Jugendnotschlafstelle COMePASS
Mühlweg 26 (Seiteneingang), 3100 St. Pölten
geöffnet: 19 bis 9 Uhr
0676 88 6 44 740
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