Gefährliches Pflaster? 20 Terror-Fälle in und um St. Pölten
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Ein 14-Jähriger, der sich aus dem Internet Bombenpläne besorgt, weil er den Westbahnhof in die Luft sprengen will. Mutmaßliche Dschihadisten, die den Gebetsraum des größten Krankenhauses in Niederösterreich dazu benutzen, um für den Islamischen Staat (IS) Werbung zu machen.
Ein 23-jähriger Österreicher, der via Telegram in Kontakt mit einem IS-Kämpfer steht und mit Bitcoins den Kampf in Syrien finanziell unterstützt. Eine Wohnung, in der sich regelmäßig radikale Muslime zum Gebet treffen – darunter auch der Attentäter von Wien, der sich ebendort einen Tag vor dem Anschlag am 2. November 2020 mit Gleichgesinnten ausgetauscht haben soll.
All diese Fälle haben eine Gemeinsamkeit: Sie spielten sich in St. Pölten ab. Ein freiheitlicher Regionalpolitiker bezeichnete die niederösterreichische Landeshauptstadt deshalb gar als „Hotspot für Terroristen“.
Aber ist das tatsächlich so? Und wie sehen Experten die Situation?
Szene
Roland Scherscher ist Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) in Niederösterreich. Laut seinen Angaben wurden in den vergangenen zehn Jahren in der Region rund 20 Straftaten registriert, die einen terroristischen Hintergrund hatten.
„Die Fälle hängen aber nur zum Teil zusammen“, sagt Scherscher im Gespräch mit dem KURIER. Dennoch warnt er: „Die Szene ist zwar nicht übermäßig groß, darf aber nicht unterschätzt werden.“
Netzwerke
Tatsächlich haben die Verfassungsschützer auch die vier Moscheen in St. Pölten im Blick. Die Gebetshäuser sind gut besucht. Rund 650 Afghanen, mehr als 800 Tschetschenen, 1.300 Türken und 700 Personen aus Bosnien und Herzegowina zählt die Statistik. Doch radikale Inhalte würden in den Moscheen nicht vermittelt, betont man bei der Polizei.
In vielen Fällen beginne die Radikalisierung ganz woanders: Im Internet, wo islamistische Inhalte schnell und anonym abgerufen werden können. Deshalb sehe man sich oft mit Einzeltätern oder nur sehr kleinen Gruppen konfrontiert.
Im Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2019 heißt es dazu, dass sich „lokale islamistische Gruppen und Netzwerke vor allem aus jungen Muslimen der zweiten und dritten Einwanderergeneration sowie aus zum Islam konvertierten Personen zusammensetzen“. Tatsächlich waren die bisher festgenommenen Täter in St. Pölten kaum älter als 30 Jahre.
Präventionsarbeit
Dass es Probleme gibt, weiß man auch im St. Pöltner Rathaus. Man setze unter anderem auf Präventionsarbeit, betonen die Verantwortlichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Büro für Diversität, das von Martina Eigelsreiter geleitet wird.
„In unseren Projekten steht die kritische Auseinandersetzung mit Themen wie gesellschaftliche Vielfalt und demokratische Teilhabe, Islam und Islamfeindlichkeit, religiös-extremistische Propaganda und Antisemitismus häufig im Mittelpunkt“, betont Eigelsreiter.
2014
Ein 14-jähriger Türke wird in St. Pölten festgenommen. Der Verdacht: Der Schüler soll im Namen des Dschihad Anschläge in Österreich geplant haben. Ein Jahr später wird der Schüler zu einer teilbedingten Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt.
2017
Im Zentrum von St. Pölten wird ein 30-jähriger Syrer von der Cobra festgenommen. Es bestehe der Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, nämlich der radikalislamischen früheren Al Nusra-Front, berichtete die Staatsanwaltschaft.
2017
Verfassungsschützer können sechs junge Männer ausforschen, die den islamischen Gebetsraum des Universitätsklinikums St. Pölten für die Radikalisierung und Rekrutierung von IS-Kämpfern missbraucht haben sollen.
2018
Zwei 19-Jährige und ein 22-Jähriger müssen sich vor Gericht verantworten. Sie sollen sich zu einer IS-Splittergruppe zwecks Errichtung eines Kalifats in Österreich zusammengeschlossen und einen Anschlag auf eine Polizeiinspektion in St. Pölten geplant haben.
2021
Ein 24-Jähriger wird zu einer Haftstrafe verurteilt. Er soll an Treffen von IS-Sympathisanten teilgenommen und den Attentäter von Wien in einer Wohnung in St. Pölten getroffen haben. Der 23-jährige Mieter soll ein Kontaktmann des Todesschützen gewesen sein.
Aktuelles Beispiel: Zwei Schulen forschen derzeit zum Thema Frieden. Ein wichtiges Ziel sei dabei die kreative Umsetzung von Geschichten über den Frieden.
„Um einen Radikalisierungsprozess stoppen oder vielleicht auch umkehren zu können, ist immer zuerst Bindungsarbeit erforderlich“, sagt Eigelsreiter. Man könne nur dann auf Menschen einwirken, wenn auch eine Bindung zu der Person bestehe.
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