Reformationstag: Warum die Kirche auch heute noch Reformen braucht

46-209961222
Der evangelische Superintendent Michael Simmer über sinkende Zahlen und steigenden Optimismus.

Für manche ist der 31. Oktober Halloween, für andere der Weltspartag und für viele ein freier Tag, weil in den Herbstferien gelegen. Für die rund 240.000 evangelischen Christen in Österreich hat der 31. Oktober aber noch eine andere Bedeutung, denn es ist der Reformationstag.

„Es ist das Datum, das mit dem Beginn der evangelischen Kirche verbunden wird“, erklärt Michael Simmer. Seit einem Jahr ist der 43-Jährige Superintendent, also „Chef“ der evangelischen Kirche in Niederösterreich. Zum Reformationstag zieht er eine Bilanz und wagt einen Ausblick.

Dabei hat es der (nicht gesetzliche) Feiertag schwer. Nicht nur, weil viele vielleicht lieber zur Halloweenparty als in die Kirche gehen dürften. Viele sind auch gar nicht da. 

„Früher war das für evangelische Schülerinnen und Schüler ein schulfreier Tag, an dem in den Pfarrgemeinden Kinder- oder Jugendprogramme angeboten wurde“, erklärt Simmer. Diese Möglichkeit, mit Kindern und damit den ganzen Familien in Kontakt zu treten und zu vermitteln, was dieser Tag bedeutet, ist mit den Ferien nun oft vorbei. „Und eine Beziehung mit Kindern und Jugendlichen aufzubauen, sollte ein Schwerpunkt in der Kirche sein“, betont der Superintendent.

46-209961220

Michael Simmer, Superintendent in NÖ.

Dabei wäre es so wichtig, die Familien zu erreichen, denn die evangelische verliert wie auch die katholische Kirche kontinuierlich Mitglieder. Schuld daran dürfte ein Traditionsbruch sein, dass Religion nicht mehr in dem Maße wie früher von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird.

„Wir haben Fehler gemacht, haben uns zu sicher gefühlt, dass die Menschen mitbekommen, was wir vermitteln wollen. Alle Kirchen waren überzeugt, dass dieses System aus Taufe, Unterricht, Hochzeit, Beerdigung immer weiter geht“, gibt sich Simmer nachdenklich, was den Relevanzverlust betrifft.

Relevanzverlust

Dazu kommt, dass es auch bei der Betreuung der Pfarren Probleme gibt. Im ganzen Waldviertel gibt es etwa nur mehr zwei Pfarrgemeinden mit jeweils 500 Mitgliedern. „Momentan geht es sich aus, aber auf lange Sicht wird es schwierig, weil einige Pensionierungen bevorstehen“, sagt Simmer. Dabei gibt es zwar relativ viele Theologiestudenten, doch (zu) wenige werden dann auch Pfarrerin oder Pfarrer. „Dabei ist es ein sehr schöner Beruf“, betont der Superintendent.

Diese Entwicklungen sind nicht erfreulich, doch „wir dürfen uns nicht entmutigen lassen“, sagt Simmer. Denn die Suche nach Spiritualität, was über die sichtbare Welt hinausgeht, sei ungebrochen. „Ich glaube, dass wir alles haben, was die Menschen brauchen, aber wir haben es schlecht kommuniziert. Jetzt ist es wichtig, als Kirche glaubwürdig zu vermitteln, wo Menschen Sinn, Orientierung, Geborgenheit, Mut und Zuversicht finden können.“

Die Zeichen für eine solche „Reformation“ seien nicht so schlecht, meint Simmer. Sein Optimismus habe auch mit jüngsten Personalentscheidungen zu tun. So wird ab 8. November Cornelia Richter als erste Frau an der Spitze der evangelischen Kirche in Österreich stehen. Die 54-jährige Theologieprofessorin wurde mit überwältigender Mehrheit im Mai zur Bischöfin gewählt.

Werte erhalten

„Ich freue mich über diese Einheit und dass es die erste Frau an der Spitze ist. Das hat eine wichtige Signalwirkung.“ Dass die neue Bischöfin visionär denke, durchsetzungsstark sei und einen Schwerpunkt auf junge Menschen setzen wird, freue ihn. Auch zur Wahl des neuen katholischen Erzbischofs Josef Grünwidl könne er nur gratulieren. „Da ist eine Aufbruchsstimmung zu spüren.“

Simmer betont auch, dass der Reformationstag nicht nur entscheidend in der (evangelischen) Geschichte sei, sondern seine Themen auch heute noch große Relevanz hätten. „Es ging um Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Bildung und darum, Haltung zu zeigen. Luthers berühmter Satz ,Hier stehe ich, ich kann nicht anders’ kann so gesehen werden, dass man für seine Überzeugungen einsteht. Das ist aktueller denn je zuvor.“

Kommentare