Die unglaubliche Justizgeschichte nahm bereits 2013 ihren Lauf, als sich das Paar scheiden ließ. Vor dem Richter einigte man sich darauf, dass der heute 56-Jährige künftig 260 Euro Unterhalt pro Monat an seine Ex-Frau zahlen sollte.
„Doch dann“, erzählt der St. Pöltner Anwalt Stefan Gloß im Gespräch mit dem KURIER, „änderten sich die Umstände.“
Der Niederösterreicher erkrankte, musste beruflich kürzertreten und sah sich bald nicht mehr in der Lage, so betont es jedenfalls sein Anwalt, die vereinbarten Unterhaltszahlungen weiter zu leisten. 2014 reichte er deshalb beim Bezirksgericht St. Pölten Klage ein, um den Unterhalt neu festsetzen zu lassen.
Richterwechsel
Zehn Jahre und sechs Monate später ist das Verfahren noch immer nicht abgeschlossen. Im Gegenteil – es wird weiterhin vor dem Bezirksgericht verhandelt. Laut Anwalt Gloß gab es mehrere Richterwechsel, Gutachten wurden eingebracht, neue Termine angesetzt. „Vermutlich wird sogar noch ein weiteres Jahr verhandelt. Diese Situation wirft kein gutes Bild auf die Justiz und belastet beide Parteien“, sagt der Jurist.
Verzögerungen wie diese sind in Österreich kein Einzelfall – prominente Beispiele wie das Verfahren gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, das fast 15 Jahre dauerte, sind bekannt.
Doch die Europäische Menschenrechtskonvention setzt klare Grenzen: In Artikel 6 heißt es, dass jeder Mensch Anspruch auf ein faires Verfahren hat – und dass dieses in einer „angemessenen Zeit“ erfolgen muss.
Anwalt Gloß sah in dem jahrelangen Verfahren einen klaren Verstoß gegen dieses Grundrecht und klagte vor dem EGMR. Die Richter in Straßburg gaben ihm recht: Die Republik Österreich – und somit der Steuerzahler – muss dem Kläger nun rund 11.200 Euro Entschädigung zahlen.
„Druck nimmt zu“
Ein Einzelfall? Wohl kaum. Denn auch Österreichs Richter selbst schlagen inzwischen Alarm: Mitte April unterschrieben über 1.400 von ihnen eine Petition, in der sie auf den akuten Personalmangel an den Gerichten hinwiesen. In einer gemeinsamen Erklärung fordern die Standesvertretungen eine sofortige Aufstockung der Planstellen sowie eine strukturelle Stärkung der Justiz.
Insgesamt würden rund 200 Planstellen fehlen, heißt es. Das sind rund 15 Prozent der derzeit etwa 1.500 Planstellen an den Bezirks- und Landesgerichten. Zudem würden die Verfahren immer komplexer werden.
„Die hohe Belastung, der zunehmende Druck und die Sorge, dem Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren nicht mehr gerecht werden zu können, sind real“, betonen Gernot Kanduth (Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter) und Martin Ulrich (GÖD).
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