Prozess seit mehr als 10 Jahren: Scheidung wird zur „Staatsaffäre“

Knapp 3.000 Ehen werden Jahr für Jahr in Niederösterreich wieder aufgelöst.
Als ihre Liebe erlosch, ließ sich ein Paar aus Niederösterreich scheiden – ein Vorgang, wie er tagtäglich vorkommt. Im Jahr 2024 wurden im größten Bundesland insgesamt 2.972 Ehen rechtskräftig aufgelöst.
Doch der Fall von Franz F. und Eva H. (Namen geändert, Anm.) war mit dem Ablegen der Ringe längst nicht erledigt. Die Trennung beschäftigte schließlich sogar den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – und kommt nun dem österreichischen Steuerzahler teuer zu stehen.
Die unglaubliche Justizgeschichte nahm bereits 2013 ihren Lauf, als sich das Paar scheiden ließ. Vor dem Richter einigte man sich darauf, dass der heute 56-Jährige künftig 260 Euro Unterhalt pro Monat an seine Ex-Frau zahlen sollte.

Stefan Gloß, Rechtsanwalt
„Doch dann“, erzählt der St. Pöltner Anwalt Stefan Gloß im Gespräch mit dem KURIER, „änderten sich die Umstände.“
Der Niederösterreicher erkrankte, musste beruflich kürzertreten und sah sich bald nicht mehr in der Lage, so betont es jedenfalls sein Anwalt, die vereinbarten Unterhaltszahlungen weiter zu leisten. 2014 reichte er deshalb beim Bezirksgericht St. Pölten Klage ein, um den Unterhalt neu festsetzen zu lassen.
Richterwechsel
Zehn Jahre und sechs Monate später ist das Verfahren noch immer nicht abgeschlossen. Im Gegenteil – es wird weiterhin vor dem Bezirksgericht verhandelt. Laut Anwalt Gloß gab es mehrere Richterwechsel, Gutachten wurden eingebracht, neue Termine angesetzt. „Vermutlich wird sogar noch ein weiteres Jahr verhandelt. Diese Situation wirft kein gutes Bild auf die Justiz und belastet beide Parteien“, sagt der Jurist.
Verzögerungen wie diese sind in Österreich kein Einzelfall – prominente Beispiele wie das Verfahren gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, das fast 15 Jahre dauerte, sind bekannt.
Diese Situation wirft kein gutes Licht auf die Justiz und belastet auch beide Parteien.
Rechtsanwalt
Doch die Europäische Menschenrechtskonvention setzt klare Grenzen: In Artikel 6 heißt es, dass jeder Mensch Anspruch auf ein faires Verfahren hat – und dass dieses in einer „angemessenen Zeit“ erfolgen muss.
Anwalt Gloß sah in dem jahrelangen Verfahren einen klaren Verstoß gegen dieses Grundrecht und klagte vor dem EGMR. Die Richter in Straßburg gaben ihm recht: Die Republik Österreich – und somit der Steuerzahler – muss dem Kläger nun rund 11.200 Euro Entschädigung zahlen.
„Druck nimmt zu“
Ein Einzelfall? Wohl kaum. Denn auch Österreichs Richter selbst schlagen inzwischen Alarm: Mitte April unterschrieben über 1.400 von ihnen eine Petition, in der sie auf den akuten Personalmangel an den Gerichten hinwiesen. In einer gemeinsamen Erklärung fordern die Standesvertretungen eine sofortige Aufstockung der Planstellen sowie eine strukturelle Stärkung der Justiz.

Streit um Unterhalt: Mehr als zehn Jahre wird nun schon am Bezirksgericht prozessiert. Der St. Pöltner Rechtsanwalt Stefan Gloß brachte Klage in Straßburg ein – und bekam auch Recht.
Insgesamt würden rund 200 Planstellen fehlen, heißt es. Das sind rund 15 Prozent der derzeit etwa 1.500 Planstellen an den Bezirks- und Landesgerichten. Zudem würden die Verfahren immer komplexer werden.
„Die hohe Belastung, der zunehmende Druck und die Sorge, dem Anspruch auf ein faires und zügiges Verfahren nicht mehr gerecht werden zu können, sind real“, betonen Gernot Kanduth (Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter) und Martin Ulrich (GÖD).
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