Früher lebten 2000 Bürger in Döllersheim. Heute existieren nur mehr Hausruinen und die Kirche.

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Waldviertel

Opfer schreibt sich den Schmerz von der Seele

Truppenübungsplatz Allentsteig: Heute 87-Jährige erzählt in neuem Buch über die Vertreibung aus Döllersheim.

von Jürgen Zahrl

11/23/2014, 05:00 AM

Überwucherte Hausruinen, umgeben von mächtigen Bäumen. Dazwischen eine gotische, ehemalige Pfarrkirche ohne Turmdach. Mitten am Vormittag zeigt die Kirchenuhr zwei Uhr an. Die Zeit ist in Döllersheim am Truppenübungsplatz Allentsteig stehen geblieben.

Wo einst mehr als 2000 Menschen lebten, trifft man keinen mehr, weil sie vor 75 Jahren vertrieben wurden, um für Hitlers militärisches Übungsgelände Platz zu machen. Wie traumatisch die Erlebnisse waren, erzählt die 87-jährige Waldviertlerin Maria Geisberger in ihrem Buch "Das Nordlicht von Döllersheim" (Edition Innsalz, 320 Seiten, 20 Euro), das sie mit Autorin Ilse Krumpöck verfasst hat.

Apfelbäume

Jetzt sehen wir die Apfelbäume blühen, aber ihre Früchte werden wir nicht mehr genießen können", sagte der Oberlehrer im April 1938 zu seinen Schülern, nachdem Maria Geisberger – damals elf Jahre alt – im Unterricht ein Gedicht über Apfelbäume vorgetragen hatte. Dass der Lehrer die bevorstehende Zwangsaussiedlung – insgesamt 42 Dörfer wurden geräumt, 7000 Bewohner vertrieben – meinte und schon mehr wusste, als die Einheimischen, konnten sie erst glauben, als die "Deutschen Ansiedlungsgesellschaft" zu einer Versammlung lud. "Weil alle ganz verdattert sind, folgt kein Sturm der Entrüstung, nicht einmal ein Funken Widerstand. Niemand traut sich, ihm ins Wort zu fallen. Drum ist der Gauleiter gleich wieder in seinem Element. Wortreich erklärt er, dass in drei Etappen ausgesiedelt werde", heißt es im Buch. Wer sich widersetzte, bekam für seinen Besitz weniger oder überhaupt keine Entschädigung.

Der Schock saß tief. "Die ganze Klasse wusste ohnehin schon, dass wir wegziehen. Ich reichte jedem Mitschüler die Hand und bedankte mich beim Lehrer für den Unterricht. Geschrieben ist das jetzt leichter, als es damals in Wirklichkeit war", erzählt die 87-Jährige. Heute lebt sie in Friedersbach bei Zwettl.

Ungerechtigkeit

Erschütternd klingen Geisbergers Erlebnisse, die sie ab 1988 in einem Notizbuch zusammenfasste, um sich ein Trauma von der Seele zu schreiben. Ihre Gedanken sind nun Grundlage für Krumpöcks neues Buch.

Dass die Grundstücke nicht zurückgegeben wurden, bezeichnet Krumpöck als völkerrechtswidrige Ungleichbehandlung: "Dieses schreiende Unrecht muss Österreich an den Nachfahren wiedergutmachen", fordert sie. Die Bundesregierung stellte 1957 fest, dass Enteignungen zu militärischen Zwecken keine typisch nationalsozialistische Erwerbsart ist und daher nicht als Entziehung zu werten sei. Lediglich die vom Land Niederösterreich verwaltete Windhag’sche Stipendienstiftung und das Stift Zwettl bekamen Flächen zurück.

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