Debatte um Notarztversorgung in NÖ zwischen Ängsten und Appellen

Mehrere Männer sitzen in einem Wirtshaus, im Hintergrund sind Banner des ORF-Niederösterreich zu sehen und Martin Gebhart spricht in ein Mikrofon.
Der Gesprächsbedarf rund um die geplante Schließung von elf Notarztstützpunkten in Niederösterreich ist nach wie vor hoch, wie beim Diskussionsformat „Ein Ort am Wort“ am Donnerstag deutlich wurde.

Die Kamera schwenkt auf Josef Baum. „Es gibt kaum ein Thema, bei dem die Bevölkerung so einig ist und so empört ist“, sagt der Kommunalpolitiker ins Mikrofon und meint die geplanten Änderungen im niederösterreichischen Rettungswesen. Zusammen mit weiteren Skeptikern, aber auch Befürwortern, Experten und  Politikern hat der Stadtrat aus Purkersdorf am Donnerstagabend in der Donau Lodge Ybbs Platz genommen, um im Rahmen des Formats „Ein Ort am Wort“ über die Schließung von elf Notarztstützpunkten zu debattieren. Der ORF NÖ und der KURIER luden zu der Diskussion ein.

Baums Beobachtung scheint nicht nur auf einige der Anwesenden, sondern auch auf viele KURIER-Leserinnen und Leser zuzutreffen, wie eine kürzlich durchgeführte Online-Umfrage andeutet. Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, dass es ihnen „große Sorgen mache, dass das System jetzt umgebaut wird“. „Da muss, glaube ich, noch viel Angst genommen werden“, kommentierte KURIER-Chefredakteur Martin Gebhart in Ybbs an der Donau die Erhebung.

Mehrere besorgte Bürger melden sich auch im Laufe dieses Abends zu Wort. Es ist von langen Anfahrtswegen und drohender Unterversorgung in großen Gebieten die Rede. Skepsis gegenüber der ständigen Verfügbarkeit von Notarzthubschraubern wird geäußert, ebenso wie   Zweifel daran, dass weniger Notärzte eine Verbesserung der medizinischen Versorgung bedeuten. Anwesende Expertinnen und Experten halten dagegen, dass Notärztinnen und Notärzte häufig zu Einsätzen ausrücken, für die sie nicht benötigt werden, und weisen auf die gestiegenen Kompetenzen der Rettungskräfte hin.

Ein speziell ausgebildeter Notfallsanitäter könne etwa Schmerzmittel verabreichen, Infusionen legen und EKG-Ausdrucke lesen, so Berndt Schreiner, Chefarzt und ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes beim Roten Kreuz NÖ. „Ziel muss sein, dass wir den Notarzt, die Notärztin, zu den kritischen Menschen hinkriegen, die ihn brauchen“, so sein Fazit.

Vertrauensfrage

Christian Fohringer, Geschäftsführer von Notruf NÖ, bezeichnet das aktuell Rettungssystem als hervorragend, „aber auch alle erfolgreichen Systeme müssen sich entsprechend weiterentwickeln, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern“. Eine zunehmend älter werdende Bevölkerung, die Umgestaltung der Ärzteausbildungsordnung und der gesellschaftliche Wandel machen die Umstrukturierungen laut Fohringer notwendig, damit die Versorgung sichergestellt werden kann. Unverändert bleibe jedoch: „Es wird zu jedem Notfallpatient, der vor Ort einen Notarzt benötigt, auch künftig ein Notarzt alarmiert werden. Hier gibt es keine Substitution durch den Notfallsanitäter.“

Eine Gruppe Menschen sitzen um einen Tisch in der Donaulodge. Ein Mann im grauen Hemd spricht in das ORF-Mikrofon.

Unterschiedlichste Stimmen wurden in Ybbs laut.

Als einziger Landespolitiker war FPÖ-Abgeordneter Richard Punz vor Ort. „Wir werden älter, es gibt multiple Krankheitsbilder und vor allem gibt es einen Fachkräftemangel. Der macht auch nicht vor dem Gesundheitswesen halt“, so Punz. Auf diese Situation müssen man sich vorbereiten. 

Notarzt Max Schmidt steht den Straffungen im Rettungswesen positiv gegenüber. Die aktuelle Versorgungsdichte sei in Europa einzigartig und nicht mehr leistbar. „Durch den Wegfall von  Notarzteinsatzfahrzeugen (NEFs) werden nicht mehr Leute sterben als jetzt, und die Versorgung der Patienten wird in keiner Weise schlechter werden als jetzt“, ist der Mediziner überzeugt. Er verstehe die Ängste der Menschen, appelliert jedoch daran, den Expertinnen und Experten zu glauben.

Einige der anwesenden Fachleute äußerten aber auch Kritik an den Schließungen. Der ehemalige Notarzt Albert Reiter spricht sich seit Bekanntwerden gegen die Notarztstützpunktschließung in Ybbs aus. Mit Umsetzung der Pläne entstehe eine große Versorgungslücke im ländlichen Gebiet, die besonders alte und damit komplexere Notfallpatientinnen und -patienten betreffe. Änderungen steht er grundsätzlich offen gegenüber, aber es „sollte keine Änderung zum  Negativen sein“.

Verhärtete Fronten

Der Bezirksstellenleiter des Roten Kreuzes in Ybbs, Tarik Farahat, blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Der Arzt weist darauf hin, dass der Gesundheitsplan des Landes nicht nur Reduktionen, sondern auch Verbesserungen enthalte – wie den Ausbau der Ersthelfergruppen und die Forderung nach einer dreijährigen Ausbildung für künftige Sanitäter. Er wundert sich darüber, dass man zuerst reduziere, bevor positiven Punkte hervorgehoben oder ausarbeitet werden.

Das Gespräch wird im Laufe des Abends zunehmend hitziger. Beschwichtigende Worte, Aufklärungsversuche und positive Blickwinkel stehen dem Wunsch nach direktem Austausch in den betroffenen Regionen, der Bitte um individuelle Lösungen und den Forderungen nach neuen Verhandlungen gegenüber. Letzteres ist laut Christian Fohringer unwahrscheinlich: „Aus meiner Einschätzung ist der Gesundheitspakt beschlossen und sollte so halten“, so der Notruf NÖ-Geschäftsführer.

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