Haute Couture aus dem KZ: Nähen, um zu überleben

Haute Couture aus dem KZ: Nähen, um zu überleben
Cordula Nossek widmet ihr Stück „Das Kleid“ den Schneiderinnen von Auschwitz und lässt Opfer und Täterinnen auf der Bühne aufeinandertreffen

„In einer Vitrine war ein kleines, rosafarbenes Kleid ausgestellt. Ein Foto daneben zeigte ein Mädchen mit dem Kleid. Es war die vierjährige Helene, die 1942 zusammen mit vielen anderen jüdischen Kindern nach Auschwitz deportiert wurde“, erzählt Cordula Nossek von einem Besuch in der Gedenkstätte Les Milles bei Aix-en-Provence in Frankreich, wo es im Zweiten Weltkrieg ein Deportationslager gab. „Dieses Kleid hat mich nicht mehr losgelassen, ich habe davon geträumt.“

Sich den Schrecken des NS-Regimes zu stellen, sie künstlerisch aufzuarbeiten und ein Theaterstück darüber zu machen, hat sich Nossek, die ausgebildete Schauspielerin und Puppenspielerin ist, zu einer Lebensaufgabe gemacht. „Meine Generation hat die Aufgabe, die Erinnerungskultur zu pflegen“, betont die gebürtige Deutsche, die in Brunn am Gebirge (Bezirk Mödling) wohnt. Auch aus ganz persönlicher Betroffenheit.

„Mein Vater war Jude. Er hat den Krieg überlebt. Aber er hat nie darüber gesprochen, er war ein Schweiger. Viele Opfer haben geschwiegen, viele Täter haben sich zu Opfern gemacht, wollten sich rausreden“, sagt Nossek.

Sie aber wollte reden, „etwas Produktives machen.“ Und stieß bei ihren Recherchen auf die Autorin Lucy Adlington und ihr Buch „The Dressmakers of Auschwitz“. Eine unglaubliche, aber erschreckend wahre Geschichte wird da erzählt. Und Kleider spielen eine zentrale Rolle.

Haute Couture aus dem KZ: Nähen, um zu überleben

 Elegante Mode für die  Nazis: die Nähstube im KZ Auschwitz wurde zum Ausgangspunkt für „Das Kleid“

Nähen für die Nazis

„Dieses Buch wurde meine Bibel, da war meine Geschichte, da habe ich alle Figuren gefunden“, erzählt Nossek. Es geht um die „Schneiderinnen von Auschwitz“. In einem Keller des Konzentrationslagers war eine Nähstube untergebracht. 25 junge Schneiderinnen, Jüdinnen und politische Sträflinge, arbeiteten dort und kreierten Haut Couture für die Frauen der Nazi-Größen. „Das Bestellbuch, das leider nicht erhalten ist, war voll, man musste bis zu einem halben Jahr warten“, sagt Nossek. Als „Rohmaterial“ dienten Kleidungsstücke und Stoffe aus den Koffern der Menschen, die hier umgebracht wurden.

Eine zentrale Rolle spielte Hedwig Höß, Ehefrau von Lagerkommandant Rudolf Höß und als Leiterin der Nähstube die Chefin von 25 Schneiderinnen. Mit ihren fünf Kindern lebte die Familie Höß in einer Villa direkt neben dem KZ. Auf der einen Seite einer hohen Mauer Familienidylle mit gepflegtem Garten samt Pool, auf der anderen Seite starben Millionen Menschen.

Haute Couture aus dem KZ: Nähen, um zu überleben

Cordula Nossek hat das Stück entwickelt, Martin Müller führt Regie. Premiere ist am 19. Juni im MÖP in Mödling

„Aus freien Stücken“

Nossek stieß auf eine weitere Frauenfigur, die sie faszinierte: Ilse Koch, Ehefrau von KZ-Kommandant Karl Otto Koch und als „Hexe von Buchenwald“ bezeichnet. Lampenschirme aus Menschenhaut waren ihre perversen Designentwürfe. „Ich beschloss, die beiden in meinem Theaterstück aufeinandertreffen zu lassen. Hedwig, die eher Bodenständige, Mutterfigur und treue Dienerin des Systems. Und Ilse, die Bestie, die das NS-System als Sprungbrett für ihre persönlichen Vorteile benutzte“, erzählt Nossek. „Keine der beiden musste aus finanziellen Gründen einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, sie taten es aus freien Stücken und aus Berufung“, betont sie.

Entstanden ist das Theaterstück „Das Kleid“. Cordula Nossek schlüpft dabei in 14 Rollen, spielt die Schneiderinnen, die Täterinnen, die Kinder von Höß. Die Bühne steht im MÖP Figurentheater in Mödling, die Uraufführung findet im Rahmen des Industrie/4Festivals am 19. Juni statt.

Warum dieses Projekt? „Wir wollen uns nicht an den Sadismen ergötzen, aber jedes Kleid symbolisiert das Schicksal von Leben und Tod: Die Schneiderinnen von Auschwitz nähten, um zu überleben“, sagt Nossek. Martin Müller vom MÖP, der Regie führt, fügt hinzu: „Das sind Mechanismen, die die Zeit überlebt haben.“ Es sei ein Theater zum Erinnern. „Es wird bald keine Überlebenden mehr geben. Wer gibt dann den Opfern eine Stimme?“, fragt Nossek. „Man sollte seine Sinne schärfen.“

Übrigens: Rudolf Höß wurde 1946 auf einem Bauernhof aufgespürt, wo er sich versteckt hatte, und 1947 auf dem Gelände des KZ Auschwitz vor seiner ehemaligen Residenz hingerichtet. Hedwig Höß wurde nie angeklagt und starb 1989 während eines Besuchs bei ihrer Tochter in den USA.

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