Kührer-Anwalt: „Eltern wollen keine Rache“

Kührer-Anwalt: „Eltern wollen keine Rache“
Diese Woche endete der Indizien-Prozess im Mordfall Julia Kührer mit einem Schuldspruch. Der Verteidiger des Angeklagten Farid Rifaat und der Kührer-Anwalt Gerald Ganzger analysieren das viel kritisierte Urteil.

KURIER: Herr Dr. Ganzger, Sie vertreten als Anwalt die Eltern von Julia Kührer. Ist der Schuldspruch eine Erleichterung für Mutter und Vater?

Gerald Ganzger: Die Anspannung war groß und sie sind sicherlich erleichtert. Für die Eltern ist es wichtig zu erfahren, wer ihre Tochter ermordet hat. Das Urteil hilft den Eltern aber nicht, dass sie mit dem grausamen Schicksal abschließen können. Die Eltern haben keine Rachegefühle und wollen auch nicht um jeden Preis einen Täter finden. Aber sie haben den Eindruck, dass das Verfahren fair gelaufen ist. Sie hätten auch einen Freispruch akzeptieren müssen, das haben sie auch gewusst. Die Eltern wussten, dass sie mit jedem Ergebnis leben müssen.Aber „sieben zu eins“ für den Schuldspruch ist für die Eltern ein ziemlich eindeutiges Votum.

Herr Rifaat, Sie haben den Angeklagten vertreten. Unmittelbar nach dem Schuldspruch meinten Sie, dass sich Ihr Mandant nicht sympathisch verkauft hat. Wie wichtig ist Sympathie bei einem Geschworenen-Gericht?

Farid Rifaat: Da ist enorm wichtig, aber auf das hat man selten Einfluss. Die Sympathie ist eine persönliche Eigenschaft eines Angeklagten, die man nicht lernen kann. Die Beweiswürdigung darf keine emotionale Angelegenheit sein, sondern eine Verstandessache. Und das sollte man sich immer vor Augen halten, egal, ob man Berufsrichter oder Geschworener ist.

Was machte den Mordangeklagten Michael K. unsympathisch?

Rifaat: Er wirkt in seinem ganzen Wesen nicht besonders verbindlich und hat keine glorreiche Vergangenheit, auch wenn er bis dato unbescholten war. Aber er wurde von einer Ex-Freundin, mit der er vor 30 Jahren zusammen war, in einem relativ schlechten Licht dargestellt. Als Geschworener sollte man analysieren, aus welchen Gründen der Angeklagte negativ beschrieben wird. Ist das eine persönliche Abrechnung? Oder ist es wirklich so?Jetzt kommen wir zum springenden Punkt: Wenn jemand von Vornherein unsympathisch wirkt, dann glaubt man leichter solchen Erzählungen – so nach dem Motto: „Er ist mir eh unsympathisch und es wird schon stimmen.“

Ganzger: Der Angeklagte ist sicherlich nicht verurteilt worden, weil er unsympathisch war. Da wird die Intelligenz der Geschworenen unterschätzt. Jeder Geschworene weiß, wie wichtig seine Entscheidung ist. Ich habe die Geschworenen genau beobachtet, sie haben eifrig mitgeschrieben, sie sind dem Gang der Verhandlung gefolgt, haben aufmerksam die Aussagen der Zeugen verfolgt und sie haben nicht jedem Zeugen geglaubt. Es gab auch kritische Fragen. Aus meiner Sicht hätte der Angeklagte anders mit den Zeugenaussagen umgehen müssen. Seine Antwort war: „Alles ist nicht wahr.“ Auch bei Kleinigkeiten. Zum Beispiel hat eine Zeugin erzählt, dass er mit 20 behauptete, dass er die Polizeischule besuchte. Auch das hat er abgestritten. Warum hat er nicht gesagt: „Ja, ich war 20, aber mit 20 erzählt jeder Bursche einem jungen Mädel irgendeinen Schmäh. Kein junger Mann sagt: „Ich habe ein Minus am Konto und Mundgeruch.“ Jeder Bursch will in diesem Alter imponieren. Oder als der Staatsanwalt ihn als „oversext“ bezeichnete, hätte er auch anders reagieren können. Es waren Zeugen aus verschiedenen Perioden seines Lebens, aus verschiedenen Orten und verschiedenen Milieus. Und seine stereotype Verarbeitung der Zeugenaussagen war: „Alles gelogen, alles Verschwörungstheorien.“ Und da fragt sich ein Geschworener schon, welches Motiv haben die Zeugen, solche Geschichten über ihn zu erzählen. Irgendwann kommen die Geschworenen zu der Meinung, dass nicht alle lügen können und das gemeinsame Ziel haben, den Angeklagten in die Pfanne zu hauen.

Herr Rifaat, war das ein taktischer Fehler?

Rifaat: So war es nicht ganz. Mein Mandant hätte sicherlich in manchen Punkten zu seinen Schwächen stehen müssen. Ich glaube, es war seine Angst, dass ihm seine Schwächen negativ ausgelegt werden – was letztendlich auch passiert ist, aber im übertriebenen Ausmaß. Wobei es bei manchen Zeugen klar erkennbar war, dass es alte Abrechnungen waren. Diese kritische Auseinandersetzung haben ich bei den Geschworenen vermisst. Aber man muss sich vorstellen, 70 Zeugen und sieben Sachverständiger waren in sechs bis sieben Verhandlungstagen vorgeladen. An einem Tag haben sechs Sachverständige ausgesagt, an einem anderen Tag wurden 70 Zeugen, davon 25 bis 30 Zeugen in Schnellverfahren, befragt. Dann muss ich beobachten, wie ein Geschworener seine Handykamera auspackt und Videoaufnahmen über die Verhandlung macht – das ist unseriös. Das hat in einer Geschworenen-Verhandlung nichts verloren, da ist der Geschworene fehl am Platz. Und das ist zwei Mal passiert. Ich finde, es ist ein mangelnder Ernst, der hier gezeigt wurde.

Ganzger: Mir ist es auch aufgefallen und ich habe es auch grenzwertig gefunden. Aber es war vor Beginn der Verhandlung. Ich glaube nicht, dass das den Geschworenen in seiner Urteilsfindung disqualifiziert.

Würden Sie dafür plädieren, dass die Geschworenen Berufsrichter als Beistand bei einem Prozess für die Urteilsfindung bekommen?

Ganzger: Ich halte von dem Mischsystem, wo fünf Geschworene mit drei Berufsrichtern das Urteil fällen, nichts – weil es nicht Fisch und Fleisch ist. Entweder wir stehen dazu, dass bei schweren Delikten die Laien alleine über die Schuldfrage entscheiden oder nicht. Die Schöffenverfahren (Anmerk. d. Redaktion: Berufsrichter entscheidet mit zwei Schöffen) sind in den meisten Fällen nicht sinnvoll, außer wenn der Schöffe zufällig ein Fachwissen hat.

Rifaat: Ich halte von dem Mix Laien und Berufsrichter auch nichts. Aber das Rechtsmittelverfahren in der Berufung muss ausgebaut werden. Es ist ein Hasardspiel in beide Richtungen. Einen sympathischen Angeklagten sprechen die Geschworenen nach dem Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ viel öfters frei. Sehr oft entspricht das Urteil der Geschworenen aber nicht der Aktenlage – ohne dass ich hier im Detail auf den Kührer-Prozess eingehe. Aber ich meine nur, dass die Geschworenen überfordert waren. Ein anderes Problem in diesem Verfahren, ist die rechtsstaatliche Problematik, dass man eine Mordanklage erhebt, ohne die genaue Todesursache zu kennen. Es gibt viele andere Mord-Prozesse, wo auch der Täter nicht geständig ist, wo es auch ein Indizienverfahren ist, aber hier habe ich erwiesenermaßen das Vorliegen eines Fremdverschulden anhand der Spuren. Aber das habe ich in diesem Fall nicht. Und das macht diese Entscheidung so besonders kritisch, weil ich keine Todesursache habe und trotzdem einen Mord annehme.

Ganzger: Erstens einmal kann es theoretisch eine Mordanklage auch ohne Leiche geben. Für eine Mordanklage muss nicht unbedingt die Todesursache mit hundertprozentiger Sicherheit feststehen, deswegen haben die Geschworenen nach dem Gesamtbild, das ihnen beim Prozess präsentiert wurde, entschieden.

Herr Rifaat, wenn Sie behaupten, dass die Geschworenen im Fall Kührer überfordert waren, warum wollen Sie dann trotzdem keinen Beistand für die Laien?

Rifaat:Abschaffen wollen wir die Laiengerichtsbarkeit nicht, aber es sollte einige Reformen geben. Die Anwälte fordern schon seit Längerem, dass sowohl der Staatsanwalt als auch die Verteidiger bei der Rechtsbelehrung der Geschworenen dabei sein dürfen. Und dann müsste es eine Überprüfungsmöglichkeit der Geschworenen-Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren geben. Im Moment ist es so: Je geringer das Delikt und je einfacher die Struktur der Gerichtszusammensetzung ist, desto leichter kann man das Urteil bekämpfen. Bei einer Watschen-Geschichte am Bezirksgericht können Sie die Beweiswürdigung des Richters bekämpfen, Sie können im Rechtsmittelverfahren noch weitere Anträge stellen. Je schwerer das Delikt, desto schwerer ist die Bekämpfung der richterlichen Entscheidung, da wird ein Urteil nur aufgehoben, wenn es Formalfehler gibt. Und an diesem Punkt muss man sich überlegen, ob das langfristig weiterhin so akzeptiert werden kann. Was man auch noch braucht, ist, dass man im Rechtsmittelverfahren wissen muss, was die Überlegungen der Geschworenen für das Urteil waren, das bedarf einer ausführlichen Begründung im Urteil, damit man es bekämpfen kann. Jetzt gibt es nur zwei oder drei Sätze als Begründung, die ungefähr so lauten: „Angeklagter ist unglaubwürdig. Zeuge A war glaubwürdig. Das Gutachten passt. “ Das ist eine sehr dünne Begründung.

Ganzger: Diese Begründungspflicht würde die Geschworenen-Gerichtsbarkeit fast ad absurdum führen. Denn die Geschworenen können die Entscheidung nicht ausformulieren.

Rifaat: Das habe ich auch nicht gesagt, die Begründung sollen die Richter machen.

Ganzger: Dann müssen die Richter die Erwägungen von acht Menschen, wo sie nicht dabei waren, formulieren. Wie soll das funktionieren? Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen: Wollen wir, dass über die Schuldfrage acht Menschen endgültig entscheiden oder nicht? Man kann einiges verbessern, aber alles, was die Entscheidungsfindung der Geschworenen verwässert, verwässert auch die Laiengerichtsbarkeit.

Gehen die Geschworenen nicht mit falschen Vorstellungen in einen Prozess. Wahrscheinlich glauben viele, dass es wie bei der TV-Serie CSI zugeht, wo ein Gerichtsmediziner den ultimativen Beweis liefert ...

Ganzger: In Österreich ist das zum Glück noch nicht so. Aber ich habe vor Kurzem einen Artikel eines US-Staranwalts gelesen, dass die Geschworenen in den USA erwarten, dass ein Gerichtsmediziner ihnen den hundertprozentigen Beweis liefert und die Faser findet, die das ganz Verfahren auflöst. Aber so ist es in der Realität nicht.

Herr Rifaat, Ihr Mandant geht gegen den Schuldspruch in Berufung. Wie geht es nun weiter?

Rifaat: Ich habe zwei Detekteien beauftragt, vor Ort zu ermitteln, denn es ist sicher nicht die ganze Wahrheit bei diesem Verfahren ans Licht gekommen. Als der Berufsrichter den Ex-Freund von Julia ins Gesicht gesagt hat: „Sie verbergen etwas.“ Da war die spontane Antwort: „Ich habe Julia nichts angetan.“ Über diese beiden Sätze müsste man viel nachdenken. „Ich habe Julia nichts angetan, heißt: Ich bin nicht ihr Täter.“ Das eröffnet aber ein weites Spektrum, dass er möglicherweise weiß, wie Julia Tode gekommen ist. Wir werden der Sache auf den Grund gehen und die Wahrheit finden.

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