300 Jahre Kirchturm Stockerau: Wo die Stadt am Himmel kratzt

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Der höchste Kirchturm des Landes wird heuer 300 Jahre alt. Ein Blick hinter die Mauern des barocken Riesen.

Stiege für Stiege, Schritt für Schritt geht es den Turm hinauf. Die engen Treppen wendeln sich zwischen massiven, rauen Steinmauern empor, in die immer wieder Namen, Daten oder Zeichen eingeritzt sind. „Das waren wahrscheinlich Ministranten“, schmunzelt Pfarrer Andreas Kaiser, ohne dabei stehen zu bleiben.

Vom Glanz des prunkvollen Kirchenschiffs, dessen Deckenhöhe wir erst noch überwinden müssen, ist im Kirchturm nichts zu bemerken. Er wurde als reines Zweckgebäude errichtet – und ist dennoch viel markanter als die reich verzierte Kirche selbst. Denn der Stockerauer Kirchturm ist mit 88 Metern der höchste in Niederösterreich, österreichweit zählt er zu den 15 höchsten. Und er ist für gewöhnlich das Erste, das man von Stockerau zu sehen bekommt – und das mittlerweile seit 300 Jahren.

„Der Turm wurde schon vor der heutigen Kirche errichtet“, erzählt Kaiser. Die Bauarbeiten begannen 1722, der Grundstein für das heutige Kirchenschiff wurde hingegen erst 52 Jahre später gelegt. Der nach außen hin reich verzierte Turm war damals ein Symbol des Selbstbewusstseins Stockeraus, das sich im 18. Jahrhundert zu einer aufstrebenden Marktgemeinde entwickelte. Außerdem war sein Vorgänger in die Jahre gekommen; er „konnte die Glocken kaum mehr tragen“, heißt es in historischen Quellen.

"Steffl" von NÖ

Geweiht ist die Stadtpfarrkirche übrigens keinem Geringeren als dem Heiligen Stephanus – und tatsächlich finden sich Kunstwerke, die einst im Wiener Dom prangten, an den Wänden des Stockerauer Gebetshauses.

Auch im sonst so nüchternen Kirchturm sind Schätze verborgen. Statuen, Gebetssessel und Kerzenhalter reihen sich in einem Zwischengeschoß aneinander, ja sogar die riesigen Zeiger der einstigen Kirchturmuhr prangen an einem hölzernen Geländer. Gegenstände, die entweder nicht mehr gebraucht wurden, oder aber aus der Mode gekommen waren.

„Das hier war mal für einen Museumsbetrieb gedacht“, schildert Kaiser, und zeigt auf kleine, handgeschriebene Schilder, die zu den Artefakten geklebt wurden. Ein echtes „Turmmuseum“ wurde daraus aber nie; der Kirchturm kann nur auf Voranmeldung bei der Pfarre besichtigt werden.

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Gesammelte Schätze im Zwischengeschoß. 

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Gesammelte Schätze im Zwischengeschoß.

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Gesammelte Schätze im Zwischengeschoß.

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Pfarrer Andreas Kaiser zeigt den Blick auf Stockerau.

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Schätze im "Turmmuseum".

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Die Türmerstube.

Allerdings muss man sich den Weg zur obersten Aussichtsplattform und damit den Blick über Stockerau erst erarbeiten. Wie einst die Turmwächter, die in 40 Metern Höhe lebten; bei Stufe 164 steht man vor einer Tür, die in die Stube führt. Leopold und Maria Reimer waren die letzten Menschen, die hier wohnten. Sie sind 1950 sowie 1957 verstorben, wie zwei Parten an der Wand belegen.

Zeitkapsel hinter dicken Mauern

„Weggeräumt wird hier nur wenig. Das Auf und Ab wäre einfach zu mühsam“, weiß Kaiser. Weshalb die Stube einer Zeitkapsel gleicht; der alte Ofen, auf dem die Turmwächter einst gekocht haben, ist noch immer an Ort und Stelle. Die Räume sind klein und spartanisch eingerichtet. Fließendes Wasser gab es auf halber Turmhöhe natürlich keines – dafür einen weiten Blick aus einem der vielen Fenster und damit einen Vorgeschmack darauf, was einen ganz oben am Turm erwartet.

Doch den Turmwächtern ging es nicht um die schöne Aussicht. Vielmehr war die Sicht auf die Stadt lebenswichtig. „Der Turmwächter musste Feuerwache halten und bei Bedarf die Feuerglocke läuten“, erzählt Kaiser. Ein Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1939 erzählt vom Alltag des damaligen Turmwächterpaares, das alle 15 Minuten aus den Fenstern der Wohnung blicken musste.

Wahrzeichen der Stadt

Die Fertigstellung des Turms bis zur Türmerstube war 1725 abgeschlossen. Zwei Jahre später wurde er vollendet – inklusive Zwiebelhaube, die aus Kupfer besteht. Ganz so hoch kann man als Besucher den Turm aber nicht erklimmen; dort, wo die Glocken Tag für Tag schlagen, ist Endstation. Der einzigartigen Perspektive auf die Stadt tut das aber keinen Abbruch.

„Als ich vor drei Jahren die Pfarre übernommen habe, war einer meiner ersten Wege hinauf auf den Turm“, sagt Kaiser, und blickt auf „sein“ Stockerau hinab. Vieles hat sich in der Stadt geändert, seit das Gebäude vor 300 Jahren errichtet wurde. Eines ist jedoch über die Jahre gleich geblieben: Der Kirchturm ist das Wahrzeichen der Stadt – und jener Ort, an dem Stockerau am Himmel kratzt.

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