Kinderflüchtlinge bleiben über

Kinderflüchtlinge bleiben über
Traiskirchen wird entlastet. Minderjährige, die alleine ankommen, finden aber schwer Quartier.

Seit einigen Monaten, da er in einer Flüchtlingsunterkunft für Kinder und Jugendliche der Wiener Caritas ist, geht es Abdullah, 16, gut: „Ich fühle mich hier wohl. Hier kann mich niemand verletzen.“

Der Afghane ist, seit er vier Jahre alt ist, auf der Flucht. Nach dem Mord an seinem Vater und seinem ältesten Bruder im Heimatland flüchtete er erst mit der Mutter und seinen Schwestern in den Iran, dann nach Pakistan. Wegen seiner Religionszugehörigkeit sei er dort nicht mehr sicher gewesen. „Ich konnte nicht in die Schule gehen. Es gibt eine Gruppe, die erschießt Schiiten. Es gab auch Bomben.“ So kam es zu einer weiteren Reise, die er diesmal allein antrat. Mit einem Schlepper ging es nach Europa. Vor rund einem Jahr, nur mit seinen Kleidern am Leib, ohne Papiere, erreichte er Traiskirchen.

Zwei Wochen später war er zum Asylverfahren zugelassen. Den Rechtsvertreter, der sich um das Asylverfahren kümmert, habe er zwei Mal getroffen. Doch einen Vormund, der die Dinge des täglichen Lebens regelt – etwa zum Arzt zu gehen oder in eine Schule zu kommen – gab es nicht. Dabei steht ihm der ab der Zulassung zum Asylverfahren zu. Erst mit der Übersiedlung ins Caritas-Haus war es so weit.

Hängen geblieben

In Traiskirchen gibt es für 80 Kinder- und Jugendliche, die hier alleine landen oder von Schleppern abgesetzt werden, Platz. Am Freitag vergangener Woche waren – trotz begonnener Entlastung des Lagers – 521 der etwa 900 Asylwerber Minderjährige. 409 davon waren zum Asylverfahren zugelassen. Wann sie das Lager verlassen können, ist unklar. „Die Bundesländer entscheiden, wen sie übernehmen“, klärt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, auf.

Weil die Betreuung Minderjähriger, für die die Länder dann verantwortlich sind, ungleich aufwendiger und intensiver sei als jene Erwachsener oder Familien, „haben sie ein höheres Risiko, im Erstaufnahmezentrum hängen zu bleiben“. Heinz Fronek von der Asylkoordination weiß von vielen, die sechs Monate oder länger unzureichend betreut im Lager bleiben müssen. Für die hohe Zahl an Minderjährigen gebe es nur 25 Sozialarbeiter. Christoph Pinter vom Wiener UNHCR-Büro verweist auf internationale Verpflichtungen wie die UN-Kinderrechtskonvention. „Bei unbegleiteten Minderjährigen muss das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen. Sobald ein Kind auf der Flucht allein in Österreich ankommt, muss es so rasch wie möglich einen Vormund geben. Das funktioniert aber nicht.“ Selbst wenn ein Platz gefunden ist, macht es der Staat den Hilfsorganisationen, die sich um die Kinder und Jugendlichen kümmern, schwer.

Weniger Geld

Asyl-Kinder werden gegenüber österreichischen Kindern, für die das Jugendamt verantwortlich ist, schlechtergestellt: Die staatlichen Tagsätze, die alle Kosten abdecken sollen, betragen je nach Art der Unterkunft in Heim, Wohngruppe oder betreutem Wohnen 36, 60 oder 75 Euro. Für österreichische Kinder gibt es mindestens 180 Euro.

Demnächst werden die Tagsätze für minderjährige Asylwerber, die 2004 fixiert wurden, um zwei Euro erhöht. „Diese Ungleichbehandlung ist nicht richtig“, sagt Miriam Lehner, die für die Caritas Minderjährige betreut. Lehner: „Viele haben eine sehr schwierige Fluchtgeschichte hinter sich. Traiskirchen ist davon noch ein Teil. Oft ist es so, dass sie nach einigen Tagen bei uns in der Nacht zu weinen beginnen und jede Nacht Betreuung brauchen. Oder sie haben starke Schmerzen – alles klassische Traumafolgen. Die meisten haben viel aufzuarbeiten und bräuchten eine Psychotherapie. Die Tagsätze reichen dafür nicht. Die Caritas zahlt aus Spendengeldern etwas dazu, sonst ginge sich das nie aus.“

Die Zahl von Kindern und Jugendlichen, die Österreich alleine erreichen, steigt. 2010 waren es 687, heuer – inklusive Oktober – 1441. Der Großteil der Kinder (zu 90 Prozent Buben) kommt aus Afghanistan. Unter 14-Jährige werden vom Jugendamt übernommen, die anderen warten oft monatelang auf einen Betreuungsplatz.

Oberösterreich ist das einzige Bundesland, das die zugesagten Asylwerberquartiere bis 30. November nicht bereitstellen konnte. Innenministerin Mikl-Leitner und Niederösterreichs Landeshauptmann Pröll sparten nicht mit Kritik am zuständigen oö. Landesvize Josef Ackerl. Doch der verweist darauf, dass seine Fachbeamten dem Innenministerium mehrfach freie Plätze für Flüchtlinge angeboten hätten, die aber bis 30. November nicht in Anspruch genommen worden seien. „Seit Wochen werden im Ministerium taktische Spielchen gespielt, um nur ja einen Buhmann zu finden“, sagt Ackerl.

Dem KURIER liegt ein in der Vorwoche verfasstes Schreiben an das Ministerium vor, in dem Landesbeamte kritisieren, dass „seit drei Tagen leider Funkstille aus Traiskirchen“ herrsche: „Wir bekommen nicht einmal die sonst sehr leicht erhältlichen Einzelmänner, bzw. Rückmeldung auf unsere Freiplatzmeldungen“. Im Detail werden 37 Plätze aufgelistet, die aktuell leer stünden.

„Da wurden also einerseits keine Flüchtlinge nach OÖ zugewiesen und andererseits aus einer freiwilligen Frist ein künstlicher Showdown im Stil eines Ultimatums fabriziert. Wer führt bei so was Regie?“, fragt SP-Landesgeschäftsführer Christian Horner. Er fordert eine parlamentarische Untersuchung. Ministeriums-Sprecher Grundböck weist die Vorwürfe zurück: „Der Bund hat keinen Einfluss, wen und wann die Länder übernehmen, das ist deren Angelegenheit.“

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