"In den Menschen investieren"

„Wenn ich falsch baue, dann brauche ich mehr Personal“, sagt Seelich
Justizarchitektin Seelich über Haftraumgrößen, Personalengpass und Stein.

Wie fühlt es sich an, wenn die schwere Eisentür ins Schloss fällt und man viele Jahre in einem kleinen Raum verbringen muss? 24 Stunden am Tag hinter Mauern. Hinter Gittern.

"Viele Menschen", sagt Andrea Seelich, "können sich nicht vorstellen, was Freiheitsentzug heißt." Sie versucht es deshalb mit einem Gedankenspiel, wenn sie an Unis lehrt. "Ich sage zu den Studenten: Ladet euch jemanden übers Wochenende ein. Diese Person darf sich in der Wohnung frei bewegen. Und ihr verbringt die Zeit in eurem Badezimmer und dürft nur eine Stunde pro Tag raus. Und diese Stunde bestimmt der andere. Dann reden wir darüber, wie es euch ergangen ist."

Seelich bemüht gerne Beispiele, die zum Nachdenken anregen. Sie weiß, wie Gefängnisse funktionieren. Die 46-Jährige ist als Justizarchitektin und Strafvollzugs-Konsulentin europaweit tätig und hat bereits 90 Haftanstalten besucht.

"In den Menschen investieren"
andrea seelich, honorarfrei
In ihrem "Handbuch Strafvollzugsarchitektur" beschreibt sie, wie moderne Gefängnisse geplant und gebaut sein müssen. Dass es in diesem Bereich oft zu Fehlplanungen komme, liege an einem ganz grundsätzlichen Problem, meint die Expertin. Das Justizministerium habe zwar die Verantwortung für das gesamte System, die baulichen Angelegenheiten aber an die Bundesimmobiliengesellschaft ausgegliedert. So auch das Personalwesen. "Das sind aber genau jene Bereiche, die die meisten Kosten verursachen. Denn wenn ich falsch baue, dann brauche ich mehr Personal." Und auch dieses kann sich ein Anstaltsleiter in Österreich – im Gegensatz zu Norddeutschland etwa – nicht aussuchen. "Der Verantwortliche muss mit dem Personal auskommen, das ihm gegeben wird. Und wenn der Leiter einen pragmatisierten Alkoholiker bekommt, dann muss der ebenfalls bleiben."

Haftraumgröße

Seelich hat auch die Schlagzeilen über die Justizanstalt Stein verfolgt. Über Wachbeamte, die die seit Jahren währende Überfüllung beklagen, über Ausbruchsversuche von Schwerstkriminellen und vieles mehr. "Man muss dazu wissen, dass Stein eigentlich für eine Einzelunterbringung konzipiert ist. Sitzen zwei Personen in einer Zelle, dann wird das schon zum Problem", erklärt Seelich. Bräuchte es einen Neubau? "Es gibt auch sehr gelungene Umbauten von alten Strafanstalten", betont die 46-Jährige.Und immer wieder taucht dabei die Frage auf, wie viel Platz ein Mensch im modernen Strafvollzug braucht. Seelich hat sich mit diesem Thema ausführlich beschäftigt. Lange Zeit waren acht Quadratmeter als Mindesthaftraumgröße vorgegeben. "Dies lag auch daran, dass viele Bauten noch aus der Kaiserzeit stammen, wo diese Größe praktisch Standard war." Im Osten Europas lag die Belegskapazität bei 2,5 Quadratmetern. "Was sich in diesen Räumen abspielt, möchte man sich gar nicht vorstellen", sagt sie.Die Expertin kam zu dem Schluss, dass 9,5 bis zwölf Quadratmeter ideal wären. "Ich hab sogar die Kubatur einer Zahnbürste hergenommen, denn die braucht auch Stauraum." Ihre im Auftrag des Justizministeriums erstellte Studie wurde ins Gesetz aufgenommen. Für die Justizarchitektin steht jedenfalls eines fest: "Man muss im Strafvollzug in den Menschen investieren. Es bringt nicht viel, wenn ich dem Häftling eine teure Therapie zukommen lasse, wenn er dann in einem Haftraum mit acht anderen Menschen untergebracht ist."

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