In alten Hallen blüht junges Leben

In alten Hallen blüht junges Leben
Früher gab die Fabrik 5000 Menschen Arbeit – jetzt bietet sie Platz für neue Unternehmen.

Fast zwölf Jahre ist es her, dass in Traiskirchen der letzte Reifen produziert worden ist. Wie einen Sarg hatten ihn Betriebsräte aus der Halle getragen – einen Trauerzug von 150 Mitarbeitern im Gefolge. 150 von etwa 1000 damals Beschäftigten, die plötzlich ohne Arbeit dastanden. Bis 2009 wurde noch in der Mischungsherstellung produziert, ehe das Werk endgültig den Geist aushauchte.

Auch heute gibt es sie noch – jene Flecken auf dem 270.000 großen Gelände, die die Luft von rund 100 Jahren Semperitgeschichte atmen: Ein Stiegenhaus mit einer vorsintflutlich anmutenden Stechuhr. Die Produktionsstraße, an der früher Fahrradreifen durch eine Halle fuhren. Die Vertiefungen im Boden, aus denen in den Jahren des Werksniederganges nach und nach die Maschinen wie kaputte Zähne gerissen worden waren.

"Selbstläufer"

Aber diese Flecken werden weniger; es sprießt neues Leben – die Unternehmer Leopold Wieselthaler und Georg Beckel sind sozusagen dessen Väter. Vor drei Jahren haben sie beschlossen, Eigentümer Continental das Gelände abzukaufen, um einen Gewerbepark zu errichten. Statt des spröden Charmes angegrauter Fabrikgebäude sahen sie, was man daraus machen könnte. "Man muss nur etwas sanieren", erklärt Wieselthaler in seinem Büro gegenüber der ehemaligen Damen-Umkleide im alten Verwaltungsgebäude.

Lagerhallen, Büroflächen, Produktion – woran es auf dem Semperit-Gelände bestimmt nicht mangelt, ist Platz. Günstige Flächen, die Nähe zu Wien und gute Verkehrsanbindung sprechen für das Projekt Gewerbepark. "Nach dem ersten Mieter war es fast ein Selbstläufer", meint Wieselthaler, "es gibt keine Flächen die nicht nachgefragt werden. Dabei haben wir bei manchen selbst das Potenzial am Anfang gar nicht erkannt – etwa beim alten Backsteinbau."

16 Unternehmen sind derzeit mit rund 290 Arbeitnehmern auf dem Gelände tätig. Ein Dutzend weiterer Mietverträge ist bereits abgeschlossen. Wenn die Unternehmer einziehen , werden 400 Menschen im Gewerbepark arbeiten. Rund 5000 waren es in den Glanzzeiten der Semperit.

100 Firmen und mehr kann sich Wieselthaler vorstellen: "Dann will ich das Gefühl haben, es sei nie anders gewesen." Ohne aber die Geschichte zu verleugnen. Ein Schauraum soll an die Zeit erinnern, in der das Werk Tausende Menschen ernährt hat, eine Zeit, in der es kaum Traiskirchner ohne einen "Semperitler" in der Familie gab.

Saubere Energie

Damals legte sich bei ungünstigem Wind noch Gummigeruch über die Stadt. Heute setzt man auf saubere Energie. Auf rund 16.500m² Dachfläche entstand die größte Fotovoltaikanlage Österreichs. 800 Haushalte könnte sie mit ihren 8000 Modulen versorgen – in den nächsten Jahren soll sie fast verdoppelt werden. "Emissionsstarke Unternehmen kommen nicht in Frage", so Wieselthaler, der "bewusste Offenheit" als Philosophie ausgibt. Ziel ist ein robuster Branchenmix (siehe Zusatzbericht). Ein Hotelprojekt ist in Aussicht und sogar für das Hochregallager mit 40 Metern gibt es einen Interessenten – den Betreiber von Kletterhallen.

Die Entwicklung freut natürlich auch die Stadt. Als es mit dem Semperit-Werk zu Ende ging, war das eine harte Zeit. Fast die Hälfte der Einnahmen aus Kommunalsteuern kam noch in den 90ern von der Fabrik; 1996 etwa umgerechnet 2,1 von 4,5 Millionen Euro. Weshalb Bürgermeister Fritz Knotzer damals auch die Entwicklung des Industriezentrum Süds voran trieb. Als "prophylaktische Gegenmaßnahme", wie sein designierter Nachfolger Andreas Babler erklärt – dessen Vater und Großvater selbst "Semperitler" waren.

Der erste Eindruck ist wenig einladend: Ein schmuckloser, in die Jahre gekommener Bürobau und eine alte Fertigungshalle begrüßen den Besucher an der Einfahrt in der Traiskirchner Wienersdorfer Straße. Ein Fitness-Center und ein Hotel-Projekt sollen demnächst für ein moderneres Bild sorgen, nach den ersten Metern auf dem Areal zeigen sich aber jetzt schon erste Erfolge des Gewerbeparks: Meterhoch ragen Magna-Fahnen in die Höhe. Der Autozulieferer arbeitet in Traiskirchen an Elektromotoren. Für Unternehmer Leopold Wieselthaler ein Bild mit Symbolkraft: "Ein junger Unternehmer hat sich in den Verhandlungen einmal gefragt, ob das hier repräsentativ genug ist. Da hat sein Partner gesagt: ‚Wenn es für Magna reicht, wird’s für uns auch genügen.‘"

In alten Hallen blüht junges Leben
Aber was spricht eigentlich für den Standort? "Natürlich war es optisch nicht ganz schön", räumt Horst Buchinger ein, der mit seiner IT-Firma Abrevis in Traiskirchen eine Niederlassung hat, "aber wir haben die Perspektive gesehen." Abrevis bereitet alte Computer, etwa von Behörden, auf und verkauft sie weiter. "Die Lage an der Autobahn spricht natürlich für diesen Standort."
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Das Platzangebot war für das Medizintechnik-Unternehmen EMCools entscheidend. Man hat sich auf therapeutische Kühlsysteme spezialisiert – damit werden etwa die Folgeschäden bei Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Patienten eingedämmt. "Wir haben hier ausreichend Raum für unsere Produktion und auch für die Büroräumlichkeiten", erklärt Sprecherin Sabine Schneider.
In alten Hallen blüht junges Leben
Der Platz – auch für Fotograf Christian Schörg war er das Argument: "Ich leide in meinem Geschäft in Baden seit langem an Raumnot. In meiner Halle hier habe ich alle Möglichkeiten. Ich habe Platz für die technische Ausstattung und kann sogar Indoor-Fotos von großen Gruppen machen." Zusätzlich hat Schörg auch einen persönlichen Bezug: "Mein Schwiegervater war viele Jahre in der Semperit beschäftigt."

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