Flüchtlinge sind im Schulalltag motiviert: "Unglaublicher Wille vorhanden"

Vertrauensaufbau zwischen Schülern und Flüchtlingen
Junge Asylwerber bekommen neben Deutschunterricht auch Werte und Vertrauen vermittelt.

Acht Burschen sitzen im Kreis um zusammengestellte Tische. Dicke Mappen und voll geschriebene Hefte liegen darauf, eine Wasserflasche lugt aus dem Bankfach – Deutsch-Unterricht.

Hier in der Neuen Mittelschule in Korneuburg wird eine der ersten Pflichtschul-Flüchtlingsklassen unterrichtet. Heute lernen Ali, Mohammad, Reza und ihre Kollegen die Körperteile. Mit Bildern und Gestik. "Ali, wo ist dein Bein?", fragt Lehrer Harald Parth. Noch etwas unsicher formuliert er seine Antwort und zeigt dabei auf das gefragte Körperteil: "Das ist mein Bein." Zeitgleich einen Stock tiefer: Verben. Ilse Wimmer unterrichtet die zweite Gruppe der Klasse. Heute geht es darum, Sätze zu bilden. "Ich koche Eier", "Du liest ein Buch".

Betreuung

Erst seit 19. Oktober drücken die 14-Jährigen die Schulbank. Seit September sind die unbegleiteten Flüchtlinge in Korneuburg untergebracht. Der Großteil kommt aus Afghanistan, ein Junge aus dem Irak. Geregelten Schulalltag kennen sie nicht.

Für Direktor Franz Grafenauer ist die Betreuung der Jugendlichen wichtig: "Wir wollen den Kindern ein gutes Ankommen und die bestmögliche Basis für die Zukunft in unserer Gesellschaft bieten."

Ali und seine Schulkollegen sind mit vollem Eifer bei der Sache, können es kaum erwarten an der Reihe zu sein. Zum Abschluss der Deutsch-Stunde wird Bekanntes wiederholt. Zählen bis 70 und das ABC. "Ich habe mich immer von den Kindern leiten lassen", erklärt Parth sein Konzept, "ich kann mich noch genau an die erste Stunde erinnern. Es hat jemand auf die grüne Wand gezeigt und gefragt, was das ist, und so hat sich das immer weiter entwickelt." Der Unterschied zum normalen Unterricht? "Man muss die Kinder nicht motivieren, hier ist ein unglaublicher Wille vorhanden."

Große Pause

Die Glocke läutet. Große Pause. Kisten mit Brot, Obst und Marmelade werden auf die Tische gestellt. Zweimal in der Woche besorgt Parth frische Lebensmittel für die gemeinsame Jause. Auch hier wird weiter gelernt. Auf Deutsch fragen die Schüler nach Obst oder Brot. Ein anderer Teil der Gruppe spielt inzwischen Tischtennis auf dem Gang. Nach der Jause wird alles gemeinsam weggeräumt und abgewaschen.

Erneutes Läuten. Jetzt steht "Teambildung" auf dem Stundenplan. Gemeinsam mit der 4A-Klasse – auch in Sport, Werken, Musik oder Zeichnen werden die Klassen vermischt. Die 14-Jährigen sitzen einander gegenüber, vor ihnen gestapelte Becher. Aufgeregte Gesichter. Wer die Becher schneller in eine Pyramide bringen und wieder zusammenstapeln kann, hat gewonnen. Jeder spielt mit jedem, vor dem Start wird eingeklatscht.

Was nach Zufall aussieht, ist durchdacht. Neben dem Sprachunterricht sollen die Asylwerber schrittweise integriert werden und österreichische Werte vermittelt bekommen. Außerdem soll für die Trauma-Bewältigung Vertrauen aufgebaut werden. Dafür wandert der andere Teil der Klasse inzwischen durch das Schulhaus. Die Hälfte davon mit verbundenen Augen. Stiegen hinauf und wieder hinunter, vorbei an Spinden und Tischen, durch enge Gänge. Die Schüler lachen, geben sich ab und zu Hinweise auf Barrieren. Die Distanz ist verschwunden. Plötzlich sprechen alle dieselbe Sprache – ohne Worte.

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