Einem gläsernen Königreich in Niederösterreich geht das Gas aus
von Max Ryba, Jeff Mangione
Immer wenn sich die Luke zum 1.200 Grad heißen Schmelzofen öffnet, wird die Werkstatt von einem ohrenbetäubenden Lärm erfüllt, und die Wärme strahlt bis zu den Sitzplätzen im hinteren Ende des Raumes aus.
Dann wird es schwer, den Erzählungen von Peter Kuchler II. zu folgen. Der stolze Vater beschreibt gerade einer interessierten Familie, was sein Sohn, Peter Kuchler III., als Nächstes machen wird. Peter III. ist komplett in die Arbeit an einem „Lichtobjekt“ versunken. Das sind von innen beleuchtete Glasskulpturen – jede ein Einzelstück.
Der junge Künstler dreht sorgfältig an der Glasmacherpfeife, auf der sich ein rot glühender kleiner Glasball befindet. Immer wieder läuft er zwischen den verschiedenen Öfen hin und her und formt nach und nach sein Kunstwerk. Bald wird es auf ein Vielfaches seiner Größe aufgeblasen. Sein Vater weiß: „Die Arbeit mit flüssigem Glas ist wie eine Dauermeditation. Man muss voll im Moment sein – sonst wird’s nix.“
Drei Generationen
In Weigelsdorf im niederösterreichischen Bezirk Baden befindet sich das „Empire of Glass“, in dem sich Familie Kuchler seit drei Generationen dem Glas widmet. Es gibt Workshops, ein Glasmuseum und eine Galerie für internationale Glaskunst. So kommt es, dass hier fast immer Besucherinnen und Besucher zuschauen, wenn ein neues Kunstwerk entsteht. Genau wie die Familie, die gemeinsam mit dem KURIER hinten in der Werkstatt sitzt.
Es geht in die heiße Phase. Das fertige Lichtobjekt muss von der Pfeife hinuntergeschlagen und in den Kühlofen gebracht werden. Dort soll das Glas auf 500 bis 520 Grad herunterkühlen. Bei dieser Temperatur härtet es aus. Peter II. springt von seinem Sessel auf, unterbricht das Gespräch und hilft seinem Sohn. Der hat schon einen silbernen Schutzanzug an und ein Visier auf – sonst würde ihm der Kühlofen seine Gesichtsbehaarung wegbrennen. Im Ofen wird das Lichtobjekt dann über mehrere Tage langsam abgekühlt.
Energiekrise
Man spürt die Frustration des Vaters, Peter II., wenn er erklärt, wie schade es sei, „so ein Talent brach liegen zu lassen“. Denn die „Lichtobjekte“, die diesmal entstanden sind, waren die Letzten auf unbestimmte Zeit. Dieses Jahr muss die Glasbläsersaison, die normalerweise von November bis April läuft, schon nach einem Monat beendet werden. Grund dafür: die hohen Gaspreise. Statt rund 6.000 Euro wie früher verschlingen die Öfen aktuell ungefähr 25.000 Euro pro Monat. Bei diesen Kosten rentiert sich die Arbeit an den „Lichtobjekten“ einfach nicht. Das ist für die Familie mit der großen Leidenschaft für Glas natürlich traurig.
Im Jahr 1966 hat Hilde Kuchler das Familienunternehmen mit ihrem Mann, Peter I., gegründet – anfangs noch als reine Glaserei. Früh brachte Hilde auch den künstlerischen Aspekt ein. Mittlerweile ist ihre „gläserne Burg“ ein beliebtes Ausflugsziel. Sofort fällt die Fassade auf, die zur Gänze mit einem Mosaik aus sieben Millionen Glassteinen besetzt ist. Sie ist Hilde Kuchlers größte Kreation.
Diese „gläserne Burg“ ist das Lebenswerk der Gründerin. Auch im Ruhestand führt sie täglich Reisegruppen durch das Museum. Ihr künstlerischer Tatendrang ist ebenso ungebrochen. So hat sie dieses Jahr den größten Glasschmetterling der Welt angefertigt. Der besteht aus mehr als 1.000 kleinen Schmetterlingen und hängt noch bis 21. Dezember in der Schmetterlingswelt Tattendorf.
Die Arbeit perfektioniert
Ihr Enkelsohn, Peter III., hat im Familienbetrieb – vor vielen neugierigen Augen – ab seinem 15. Lebensjahr die Arbeit mit dem Glas erlernt. Mittlerweile ist der Glasmacher 31 und hat mehr als die Hälfte seines Lebens damit verbracht, seine Kunst zu perfektionieren. Es habe ihn „Schmerzen, Schweiß und Scherben“ gekostet, erklärt er. Aber so habe er Fähigkeiten entwickelt, die auf der Welt einzigartig sind. Dafür wurde er auch vom Forbes Magazin 2021 zum spannendsten Künstler der DACH-Region (der Länder Deutschland, Österreich und der Schweiz, Anm.) gekürt.
Mehrere Schichten, feine Muster
Unter dem Künstlernamen P3 fertigt er Skulpturen an, die in mehreren Schichten von feinen Mustern, Wirbeln oder Netzen durchzogen sind. Diese stehen mittlerweile auf jedem Kontinent in Ausstellungen und privaten Sammlungen. Glasmacher aus aller Welt versuchen zu verstehen, wie P3 solche regelmäßigen, feingliedrigen Muster ins Glas bringt. Mit einem Augenzwinkern sagt er: „Es gibt Dutzende Glasmacher, die mir nur deshalb auf Instagram folgen, um herauszufinden, wie ich das mache.“
Übrigens sind die Kuchlers auch gerade dabei, auszubauen. Bis 2024 sollen in Weigelsdorf Museumsfläche und Glaserei vergrößert werden. Nur wann Peter III. wieder seiner Leidenschaft, dem Fertigen der „Lichtobjekte“, nachgehen kann, ist nicht klar. Er würde sich wohl gern eine Kristallkugel blasen können, um in die Zukunft zu sehen: Eine Zukunft, in der hier wieder kunstvolle Glasobjekte entstehen werden.
Die Geschichte des Glasblasens geht mehr als 2.000 Jahre zurück. Ungefähr 100 Jahre vor Christi Geburt haben syrische Handwerker das Verfahren mit der Glasmacherpfeife erfunden. Die Römer kopierten die Technik, und so fand die Methode schnell Verbreitung im gesamten Römischen Reich.
Im Mittelalter setzte sich dann die venezianische Inselgruppe Murano als Zentrum der Glasbläserkunst durch. Aber auch in Österreich gab es schon ab dem 12. Jahrhundert sogenannte Glashütten. Die Voraussetzungen dafür, dass sich so eine Hütte ansiedeln konnte, waren damals das Vorkommen von Quarz und viel Wald. Denn um das Glas zu erhitzen, brauchte es eine Menge Holz. Beide diese Stoffe gab es in Österreich schon immer ausreichend. Aus dem 14. Jahrhundert ist eine Glasfabrikation aus Waidhofen an der Ybbs bekannt. In Hall in Tirol gelang es im 16. Jahrhundert sogar, venezianisches Glas zu imitieren.
Heute wird noch immer fast genau so Glas geblasen wie vor 2.000 Jahren, allerdings gibt es immer weniger Menschen, die das traditionelle Handwerk beherrschen. In Deutschland ist es deswegen seit 2015 ein immaterielles Kulturerbe, in Österreich noch nicht. Auch auf der internationalen UNESCO-Liste der immateriellen Kulturgüter steht die Glasbläserei noch nicht. Betriebe wie die Familie Kuchler wollen es gerade deshalb für die Nachwelt bewahren.
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