Der lange Weg nach Norden: Waldviertel vor Wagnis Autobahn
Die Blätter der Kugelrobinie sind gefiedert und haben Ellipsenform. Wohingegen sich die Kugelplatane durch fünflappige, etwas ledrige Blätter auszeichnet.
Dieses Wissen kann man sich ergoogeln. Beim Autofahren. Auf dem Beifahrersitz. Auf dem Weg von Krems Richtung Zwettl. Wenn man mit Tempo 60 hinter dem Kleinlaster einer Gartenfirma, der drei kleine Kugelbäume geladen hat, kriechen muss. Und zwar ohne jede Chance, zu überholen.
Autopendler auf der B 37 Richtung Zwettl können leidenschaftlich darüber diskutieren, wie ihnen Traktoren, Lkw oder Schleicher den täglichen Arbeitsweg in die Länge ziehen. Und auch über die viele Jahre alte Idee einer Waldviertelautobahn.
Aktuell lässt das Land verschiedene Varianten einer solchen Hochleistungsstraße durch das Waldviertel prüfen. Um eine Entscheidungsgrundlage zu erhalten, sollen wirtschaftliche und touristische Maßstäbe genauso wie ökologische Parameter abgetestet werden. Im Mai soll ein ganzes Paket an Studien fertig sein. Dann muss die Region entscheiden, ob sie sich ins Wagnis Waldviertelautobahn stürzen will (siehe Interview rechts).
Schon jetzt hat sich der KURIER hinters Steuer gesetzt und ist eine der möglichen Trassen abgefahren, um entlang der Strecke mit Betroffenen zu sprechen. Dabei hat sich gezeigt: Als absolutes Allheilmittel wird er nicht gesehen, der mögliche Highway in den Norden.
Unser Wagen schleicht hinter einem weißen Lastwagen her, bis die Strecke zwischen Rastenfeld und Zwettl dreispurig und ein gefahrloses Vorbeifahren möglich wird. Kurz vor Zwettl beginnt schon die neue Umfahrungsstraße. Seit vergangenem Sommer schlägt die mehr als 150 Millionen Euro teure Neutrasse einen Bogen um die Bezirksstadt. Die elf Kilometer lange Strecke wirkt überdimensioniert, bringt aber eine Verkehrsentlastung in der Innenstadt und eine Zeitersparnis von zehn bis 15 Minuten in beide Richtungen. Wie die aktuellen Verkehrszahlen der Straßenbauabteilung des Landes zeigen, ging der tägliche Verkehr im Zwettler Betriebsgebiet durch die Umfahrung von 18.300 Fahrzeugen auf zirka 12.000 zurück.
„Vernetzen“
Dort liegt auch die Zwettler Firmenzentrale des Lebensmittelriesen Kastner. Für Geschäftsführer Christof Kastner ist eine Waldviertel-Autobahn nur zweitrangig. „Viel wichtiger ist, dass wir die Bezirksstädte perfekt vernetzen – wenn möglich dreispurig, ohne Ortsdurchfahrten und niveaubefreit. Das oberste Ziel muss sein, die Verbindungen von Horn Richtung Westen, von Zwettl bis Vitis und die Strecken in den Donauraum und nach Linz weiter auszubauen“, sagt Kastner. Und dann – „in 20, 30 oder 40 Jahren“ – könne man über die Realisierung einer Waldviertel-Autobahn reden.
Nach einer Viertelstunde Fahrzeit erreicht man von Zwettl kommend Weitra im Bezirk Gmünd. Dort betreibt Peter Weißenböck am Ortsrand ein Transportunternehmen. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Autobahn und ist überzeugt, dass die Chance noch nie so groß war, wie jetzt.
„Es ist eine Notwendigkeit, dass die Region eine hochrangige Straße bekommt. Dadurch können wir das Waldviertel besser vermarkten und wirtschaftlich stärken“, sagt Weißenböck. Er glaubt, dass sich dort, wo eine Autobahn gebaut wird, viele Betriebe ansiedeln und so Arbeitsplätze entstehen werden. „In ganz Österreich gibt es dafür viele Beispiele“, erklärt der Unternehmer. Pendler seien bereit, 30 bis 60 Minuten Fahrzeit in Kauf zu nehmen, wenn sie „dafür in einer gesunden Region leben dürfen“, sagt Weißenböck und verweist auf Beispiele im Wiener Umland.
Trassen
Wo die künftige Autobahn verlaufen könnte, ist derzeit noch unklar. Allerdings werden von Insidern stets drei Streckenvarianten ins Spiel gebracht. Eine davon orientiert sich an der Trasse der B2 und inkludiert die Bezirksstadt Horn. Zwei andere knüpfen in Krems an die S5 bzw. die S33 an und verbinden die Wachaumetropole mit dem Waldviertler Norden (siehe Grafik) . Wobei zumindest eine Trasse einen kompletten Neubau durch die grüne Landschaft bedeuten würde.
Auf dem Rückweg nach Krems geht es zur „Schwarz Alm“ in einem idyllischen Waldstück nahe Zwettl. Hoteldirektor Markus Hann braucht für einen Waldviertler Highway keinen Asphalt. Er will eine Datenautobahn. „Wir verzeichnen etwa 4000 Seminarnächtigungen pro Jahr. Unsere Kunden setzen Videokonferenzen mit allen Teilen der Welt voraus. Mit der derzeitigen Datenleitung schaffen wir das nicht.“ Straßenautobahn braucht er keine, die Nord-Süd-Achsen in OÖ und im Weinviertel seien ausreichend. „Die Landschaft ist schnell zerstört, aber nicht wieder schnell da.“
Beispiel Nordautobahn: Spatenstich nach jahrzehntelanger Debatte
Dass es für Autobahnprojekte in Österreich mitunter einen langen Atem braucht, beweist das Beispiel der Nordautobahn A5. Die Debatte über eine Nord-Süd-Hochleistungsstraße durchs Weinviertel ist Jahrzehnte alt. Allerdings wurde das Projekt erst im Vorfeld der EU-Osterweiterung ab 1998 ganz konkret verfolgt. Der Spatenstich für den südlichen Autobahnabschnitt von Eibesbrunn nach Schrick erfolgte schließlich im Februar 2007. Für 255 Millionen Euro wurden 23,5 Kilometer Autobahn inklusive eines Tunnels und 21 Straßenbrücken errichtet und im Oktober 2010 für den Verkehr freigegeben. Der Abschnitt Schrick-Poysbrunn kann seit dem 8. Dezember 2017 befahren werden (283 Millionen Euro). Damit ist die A5 nur mehr neun Straßenkilometer von der Staatsgrenze zu Tschechien entfernt. Zum letzten und nördlichsten Teilabschnitt zählt auch die fünf Kilometer lange Umfahrung von Drasenhofen, an der seit April gebaut wird (Kosten: 50 Millionen Euro). Die Verkehrsfreigabe soll im zweiten Halbjahr 2019 erfolgen.
Im Jänner attestierte eine Studie der Eco-Austria der A5 positive Effekte auf Wirtschaft und Arbeitsplätze. Die Expertise weist für Niederösterreich ein BIP-Wachstum durch die Nordautobahn von 1,6 Prozent bzw. ein Beschäftigungsplus von 4900 Jobs aus. Für das Weinviertel soll das BIP-Wachstum demnach bei 5,6 Prozent und zusätzlichen 955 Arbeitsplätzen liegen. Zeitgleich habe der Ortsdurchzugsverkehr deutlich abgenommen.
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