Bodenversiegelung: Grüner Ring gegen die Betonwüste

Bodenversiegelung: Grüner Ring gegen die Betonwüste
Österreich versiegelt weniger Fläche als angenommen. Trotzdem kommen strenge Baugrenzen um Wien

Ob Hochwasser oder, wie im heurigen Sommer, extreme Hitze: Die zunehmende Versiegelung des Bodens mit Gebäuden oder Verkehrsflächen wird als Problem erkannt. Auch in der Debatte regionaler Herausforderungen wie Zersiedelung und Ortskernsterben wird ausufernder Bodenverbrauch als Argument ins Treffen geführt. 20 Hektar Boden sollen es sein, die österreichweit pro Tag zubetoniert werden. Neue Zahlen belegen nun aber, dass der Verlust an naturbelassenen Flächen wesentlich geringer ist.

Österreich umfasst knapp 84.000 Quadratkilometer. Laut den 2017er-Zahlen des Umweltbundesamts wird davon eine Fläche von 5642 Quadratkilometern in Anspruch genommen – also als Bau- und Betriebsfläche, Verkehrs-, Freizeit- oder Abbaufläche genutzt. Ende 2017 waren mehr als 230.000 Hektar (2300 ) Boden versiegelt, also zubetoniert.

Unterschiede

„Die tägliche Flächeninanspruchnahme in Österreich beträgt 12,9 ha/Tag im Durchschnitt der Drei-Jahres-Periode 2015-2017“, heißt es im Bericht des Umweltbundesamts, das damit deutlich unter der Annahme von 20 Hektar pro Tag liegt. Auch die Zeitleiste belegt einen Rückgang (Grafik). Ergebnisse einer neuen Studie im Auftrag des Landes Niederösterreich lassen nun den Schluss zu, dass die Zahlen noch wesentlich niedriger sind.

Während nämlich die Bundesbehörde Niederösterreich einen täglichen Flächenverbrauch von drei Hektar bescheinigt, weist die „nö. Bodenbilanz 2016“ mit einem Hektar lediglich ein Drittel davon aus.

Den Unterschied führt Studienautor Thomas Knoll unter anderem darauf zurück, dass Änderungen auf landwirtschaftlichen Flächen, etwa Brachen, in die NÖ-Bilanz nicht eingeflossen sind. „Diese vermindern vielleicht die landwirtschaftliche Produktion, weil der Boden derzeit nicht bearbeitet wird, aber tatsächlich verbaut oder versiegelt wurden die Flächen ja nicht.“

Laut Knolls Berechnungen hat Niederösterreich knapp sieben Prozent seiner Landesfläche verbraucht. „Da mache ich mir noch keine Sorgen, auch wenn es natürlich wichtig ist, das Ausmaß des Bodenverbrauchs zu kontrollieren. Es geht eher darum, wofür die Flächen verwendet werden“, sagt Knoll. Man müsse nämlich regionale Unterschiede berücksichtigen. „Wenn sich etwa ein Betrieb, der viel Platz braucht, im Waldviertel ansiedeln möchte, dann ist das ohne Einschränkung möglich.“ Im Gegenzug sei natürlich im Wiener Umland der Trend zu kleineren Eigenheimen und Reihenhäusern durchaus sinnvoll. „Wer wiederum nahe Wien großzügige Eigengärten möchte, dem kann ich das nördlich der Leiser Berge anbieten.“

In Niederösterreich haben sich in den vergangenen Jahren vor allem Straßenprojekte auf den Bodenverbrauch ausgewirkt. So nimmt etwa die Nordautobahn im Abschnitt Schrick-Poysbrunn 230 Hektar Fläche ein, die Umfahrung Zwettl benötigt 17,7 Hektar. Aber auch Windkraftanlagen benötigten zunehmend mehr Fläche (Grafik).

Otto Wagners Idee

Auch wenn Baulandwidmungen noch immer den Löwenanteil am Gesamtverbrauch ausmachen, lässt man hier mehr Sorgfalt walten. „Mittlerweile wird weniger neu gewidmet als verbaut, damit ist eine Trendwende gelungen“, sagt der zuständige Landesvize Stephan Pernkopf. Der Umstand, dass Gemeinden, wenn sie über zu viel ungenutztes Bauland verfügen, kein neues widmen dürfen, ist Teil eines groß angelegten „Bodenschutzpakets“. Dieses beinhaltet auch sieben regionale Raumordnungsprogramme, die insgesamt 1200 Siedlungsgrenzen sowie mehrere hundert Quadratkilometer „erhaltenswerte Landschaftsteile“ und „Grünzonen“ festschreiben.

Dort, wo der Siedlungsdruck am größten ist, ist die umfassendste Maßnahme vorgesehen: Mit einem grünen Ring um Wien will Pernkopf eine Idee des Jugendstilarchitekten Otto Wagner aufgreifen: Strenge Siedlungsgrenzen sollen zusammenhängende Grünräume rund um die Bundeshauptstadt und in der Ostregion sicherstellen. Die Vorarbeiten dazu laufen bereits, Details will das Land Niederösterreich noch im Herbst vorstellen.

Versiegelung lässt Städter immer mehr schwitzen

 Auswirkungen. Der fortschreitende Bodenverbrauch trifft nach Ansicht von Experten landwirtschaftlich genutzte Flächen in besonderem Maß. Die Versorgungssicherheit Österreichs mit Lebensmitteln nimmt damit von Jahr zu Jahr ab, argumentiert das Umweltbundesamt –  die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten steige.  Angesichts steigender Energiepreise und der höheren Nachfrage von Böden für die Produktion von Nahrungsmitteln und Biomasse gewinnen innerhalb der EU produktive Böden zunehmend an Bedeutung.

Werden Böden versiegelt, ist dieser Prozess schwer rückgängig zu machen, da die Bodenneubildung  langwierig ist: Bis ein einziger Zentimeter Humus nachgebildet wird, kann es bis zu 200 Jahre dauern.

Mit dem Zubetonieren steigt auch die Gefahr von Überschwemmungen. Ein Hektar unversiegelter Boden kann 2000 Kubikmeter Wasser (zwei Millionen Liter) speichern. Kann er das nicht, wird Starkregen zum ernsten Problem. Zudem verdunstet Wasser auf versiegelten Böden weit schlechter: In dicht besiedelten Gebieten  führt das mitunter zur Veränderung des Mikroklimas und zum Anstieg der lokalen Temperaturen. Parkanlagen und „grüne Inseln“ sind in solchen Zonen wichtig.  Unter diesem Aspekt kommt Niederösterreichs Vorstoß betreffend eines „Grünen Rings“ um Wien besondere Bedeutung zu.

Kommentare