Leben am Limit – wenn bittere Not zum Dauerzustand wird
Lewa saust zwischen Kisten und mit Leintüchern abgedeckten Möbeln, reißt Grimassen und macht böse Gesichter. Katya, die 13-jährige Schwester ist genervt, ermahnt die Zweijährige, während Mutter Switlana davon erzählt, wie es kam, dass sie heute zwischen dem Hab und Gut eines Vermieters und von der Hand im Mund leben. Draußen schneit es. Ein Vorort von Kramatorsk in der Region Donezk, der langsam im Schnee versinkt. Kleine Häuser, Gärten, schmale Wege. Es ist bitterkalt. Und auch im Haus ist es keineswegs warm. Gas ist teuer.
Es war 2014, als sich die damals schwangere Frau auf den Weg machte – quasi direkt aus dem Keller ihres Hauses in der Stadt Jenakijewe. In der Stille nach Artilleriebeschuss, vorbei an brennenden Häusern, brennenden Bussen. Mitgenommen hat sie nur, was sie tragen konnte. Ihre Tochter Katya hatte sie schon zuvor zu Freunden nahe Kiew geschickt. Und da ist sie nun, die Maschinenbau- und Bau-Ingeneurin mit ihren zwei Töchtern. Ohne Job. Katya hat Diabetes, Lewa ein Loch im Herz. Medikamente sind teuer, der Ärzte-Marathon ist zeitaufwendig, Arbeit ist rar und potenzielle Arbeitgeber scheinen eine alleinerziehende Mutter zweier kranker Kinder vor allem als Risiko zu sehen.
Zwischen Kramatorsk und Jenakijewe liegen 100 Kilometer – aber vor allem eine Frontlinie. Jenakijewe ist unter Kontrolle pro-russischer Milizen, Kramatorsk in der Hand der ukrainischen Kräfte. Ein Krieg, der unmenschliche Fakten geschaffen hat.
1,8 Millionen Menschen sind in Folge des Krieges innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Eine Million sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, wie der Präsident der Caritas-Ukraine, Andriy Waskovych, sagt. Das Sozialsystem ist heillos überlastet. Hinzu kommen Wirtschaftskrise sowie Währungsverfall in dem ohnehin bitterarmen Land.
Schleichendes Drama
Für Switlana und ihre Kinder bedeutet das: Mit allen staatlichen Beihilfen kommt sie auf umgerechnet rund 100 Euro. Nach Abzug der Miete bleiben etwa 50 Euro für Essen, Medikamente, Untersuchungen, Behandlungen, Schulartikel und Kleidung. "Wir sparen, wo es geht", sagt die Frau um die 40. Aber es geht sich nicht aus.
Es ist ein schleichendes Drama, dass sich in Haushalten wie dem von Switlana abspielt – und das sind unzählige. Während die Folgen der Kämpfe in vielen Gebieten abseits der Front kaum mehr zu sehen sind, sickert bittere Armut durch. Finanzielle Reserven auch einst wohlhabender Vertriebener sind aufgebraucht und die Wirtschaftskrise wirkt sich auch auf die nachbarschaftliche Solidarität aus – bisher ein wesentlicher sozialer Faktor. Betroffen sind vor allem Alleinerzieher, überwiegend Frauen sowie Kinder. Traumatisierung und Perspektivlosigkeit tun ihr übriges. Von "negativen Überlebensstrategien" spricht Andriy Waskovych, die Menschen entwickelten: Armutsprostitution, Alkoholismus, Kriminalität, Kinderarbeit. Immer öfter würden Eltern ihre Kinder aus der Schule nehmen, weil sie sich die Unterrichtsmittel nicht mehr leisten könnten.
Hinzu kommt, dass der Krieg und damit die humanitären Notlagen (4,4 Mio. Menschen sind direkt vom Krieg betroffen) aus der medialen Öffentlichkeit verschwunden sind. Das hat vor allem eine Folge: 2017 war der insgesamt veranschlagte Bedarf an humanitären Mitteln für die Region nur zu lediglich 37 Prozent gedeckt.
Switlana legt Wert darauf, dass ihre Kinder eine gute Bildung bekommen und spart bei sich: An Nahrung. Von der Caritas wurde sie mit österreichischer Hilfe finanziell unterstützt, zudem schaut eine Krankenschwester der Caritas regelmäßig vorbei. Hin und wieder bekommt sie ein paar Erdäpfel oder eingemachtes Gemüse von Nachbarn. Den eigenen Garten zu bebauen hat ihr der Vermieter untersagt.
Sie zeigt ein Bild der strahlenden Katya in glitzerndem Tanzkostüm. Eines, aus besseren Zeiten vor dem Krieg, als sie zu Tanzbewerben in die Slowakei und nach Bulgarien reisten. Erinnerungen aus einem anderen Leben.
Caritas-Spendenkonto: IBAN: AT232011100001234560,
Kennwort: Kinder in Not
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