Kern-Problem in der Nachbarschaft

Kern-Problem in der Nachbarschaft
Endlagerstätte in Grenznähe: Wieder alles offen / Tschechien spielt beim AKW-Ausbau auf Zeit.

Österreichs Kampf gegen den Ausbau des tschechischen Atomkraftwerks Dukovany ist noch lange nicht ausgestanden. Damit nicht genug, dürfte sich die Situation erneut verschärfen: Wie der KURIER erfuhr, flammt bei unserem Nachbarn die Debatte um mögliche Atommüll-Endlager neu auf. Hatte die tschechische Regierung im vergangenen Juli noch die potenziellen Standorte von sieben auf zwei reduziert, muss sie jetzt zurückrudern, weil nun betroffene Gemeinden die Verhandlungen abgebrochen haben.

In einem offenen Brief an die tschechische Regierungsspitze teilten neun Bürgermeister der Region Horka im Kreis Vysocina, westlich von Brünn, mit, dass sie ein Endlager für radioaktive Abfälle vor ihrer Haustüre ablehnen und – tschechischen Medienberichten zufolge – auch die Arbeitsgruppe für den Dialog zwischen Gemeinden, Ministerien und der Agentur für nukleare Abfallentsorgung "SURAO" verlassen haben. Zudem hätten sie in ihrem Schreiben auch darüber informiert, dass sie die Diskussion rund um die Bedingungen für die Oberflächenuntersuchungen in ihren Gemeinden beenden wollen (siehe auch Zusatzbericht).

Erst im Juli hatte die Regierung die Standorte auf zwei – darunter Horka – reduziert, weil man offenbar angenommen hatte, dass jene Gemeinden, die keine Klage gegen die Untersuchungen eingebracht haben, für den Bau des Atommüll-Endlagers wären. Ein Trugschluss. Die Reaktion des Industrieministers Jan Mladek folgte umgehend: Er bringt jetzt wieder alle sieben möglichen Endlager-Standorte ins Spiel. Während sich Minister Mladek mit Äußerungen derzeit zurückhält, nahm zumindest Umweltminister Richard Brabec gegenüber der tschechischen Zeitung Třebíčský deník Stellung: "Solch ein bedeutendes Projekt wie das Atommüll-Endlager kann man nicht gegen den Willen der Bewohner errichten lassen."

Trotz des Widerstands sieht Brabec auch den Ausbau des Atomkraftwerks Dukovany als Notwendigkeit, weil die bestehenden Reaktoren bald ersetzt werden müssten.

81.000 Unterschriften

Kern-Problem in der Nachbarschaft
Umweltlandesrat Dr. Stephan Pernkopf, tschechischer Umweltminister Richard Brabec und Umweltminister DI Andrä Rupprechter
Zuletzt hatte sich Niederösterreich an die Spitze der Dukovany-Gegner gesetzt. Umweltlandesrat Stephan Pernkopf (ÖVP) mobilisierte – zum Beispiel über die Bürgermeister. Ergebnis waren knapp 81.000 Unterstützungserklärungen gegen den Ausbau des Kraftwerks – davon 63.700 alleine aus NÖ. Alle Unterzeichner erwarten sich rasche Schritte gegen die tschechischen Pläne. Mit einer Entscheidung dürften sich die Nachbarn aber recht lange Zeit lassen.

Zu Wochenbeginn kam es am Rande des Umweltministertreffens in Luxemburg zum direkten Showdown. Gemeinsam mit Minister Andrä Rupprechter (ÖVP) hatte Pernkopf den tschechischen Umweltminister Richard Brabec zum Gespräch gebeten. Rupprechter: "Wir lehnen den Ausbau der Atomkraft ab und setzen auf den Ausbau der Erneuerbaren Energieträger. Mein Kollege hat uns volle Transparenz im gesamten Prozess sowie volle Information und Einbindung zugesichert."

In Dukovany – 32 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt – will die tschechische Betreibergesellschaft CEZ zwei zusätzliche Reaktoren bauen. Einbringen kann sich Österreich im Zuge der grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt. Schon jetzt ist aber klar, dass in nächster Zukunft keine Entscheidung zu erwarten ist. Pernkopf: "Wir haben von Minister Brabec erfahren, dass das Verfahren wegen der vielen Stellungnahmen Jahre dauern wird. Und solange die Verfahren nicht abgeschlossen sind, kann natürlich auch nicht gebaut werden. Außerdem ist die Finanzierung absolut nicht geklärt." Pernkopf sieht den Ball nun bei Kanzler Christian Kern (SPÖ). "Wir haben den Druck europaweit erhöht, jetzt muss der Kanzler unsere Position bei seinem tschechischen Amtskollegen durchsetzen."


Tschechien und die Atomkraft - eine Chronologie:

Die Suche nach einem möglichen Standort für ein Atommüllendlager ist in Tschechien zu einer unendlichen Geschichte geworden. Vor fast 20 Jahren wurden die ersten möglichen Deponie-Plätze genannt – mehrere davon unweit der österreichischen Staatsgrenze.

1999 Die tschechische Agentur für Lagerung von Atommüll, SURAO, beginnt mit der Suche und nennt die ersten vier möglichen Standorte für ein Atommüll-Endlager.

2002 Als der Name des südmährischen Nová Bystřice (Neubistritz), drei Kilometer nördlich des Waldviertels gelegen, fällt, wächst auch in Niederösterreich der Widerstand.

2010 Eigentlich sollten die möglichen Standorte bereits nach ihrer Eignung gereiht vorliegen. Doch die tschechische Regierung muss den Zeitplan aufgrund des heftigen Protests im In- und Ausland erstmals überarbeiten.

2012 Umweltschützer schlagen Alarm, weil auch ein ehemaliges Uranbergwerk in der Gemeinde Rasov als Standort infrage kommt.

2014 SURAO ringt sich endlich dazu durch, sieben mögliche Standorte zu benennen – darunter vier nahe der Grenze zu Österreich. Während die ersten Genehmigungen für geologische Oberflächen-Untersuchungen in mehreren tschechischen Gemeinden erteilt werden, bereiten Nieder- und Oberösterreich rechtliche Schritte gegen das Endlager vor. Wollte Tschechien ursprünglich bis zum Jahr 2065 ein funktionstüchtiges Tiefenlager, so ist dieses Ziel längst in weite Ferne gerückt.

2015 Ein Skandal rund um Revisionsarbeiten beim AKW Dukovany wird öffentlich. Weil mehrere Schweißnähte nicht in Ordnung waren und undichte Stellen in der Hülle drohten, mussten zwei Reaktorblöcke vorübergehend vom Netz genommen werden.

2016 Im April informiert die tschechische Regierung darüber, dass die Laufzeit für den 30 Jahre alten Reaktor 1 im Atomkraftwerk Dukovany auf unbestimmte Zeit verlängert wurde.

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