Durch die Piefke-Brüder wurde eine Bezeichnung geboren, die den Preußen blieb. Die Piefkes wurden zum Symbol des erfolgreichen, aber ungeliebten Nachbarn. Als es die Piefke-Brüder längst nicht mehr gab, entspannte sich das deutsch-österreichische Verhältnis, kämpften die beiden Völker doch im Ersten Weltkrieg im Gleichschritt nebeneinander.
In der Zwischenkriegszeit baute der aus Baden bei Wien stammende Max Reinhardt in Berlin ein Theaterimperium von nie dagewesener Dimension auf (wie Claus Peymann viel später dann in Wien das Burgtheater übernahm). Weiters eroberten die von der Donau an die Spree geholten Kaffeehausliteraten das deutsche Feuilleton, allen voran Anton Kuh, Egon Friedell und Roda Roda, der die Bewohner der beiden Metropolen mit den Worten verglich: „Wann in Berlin a Künstler verhungert, kümmert si ka Mensch um eahm. Aber in Wien stengan Hunderte um eahm herum und sagen: Es müsset was führ ihn g’schehn.“
Als die Deutschen im März 1938 in Österreich einmarschierten, waren sie wieder Piefkes. Man hatte sie zwar freudig willkommen geheißen, als sich die „Volksgenossen aus dem Altreich“ aber die fettesten Posten sicherten, ließ die Sympathie nach. Damals begannen die Österreicher sprichwörtlich, aus Hitler einen Deutschen und aus Beethoven einen Österreicher zu machen.
Aber bald schon konnten wir’s „denen“ zeigen: Als am 22. Juni 1941 Rapid Wien den deutschen Fußballklub Schalke 04 mit 4:3 vernichtend schlug, wurden die „schlappen Ostmärker“ „deutsche Meister“.
In den Nachkriegsjahren entwickelte sich Deutschland mit dem Wirtschaftswunder zu Österreichs wichtigstem Handelspartner, der auch für den größten Touristenstrom sorgte. Und doch hielt sich die Liebe der Österreicher zu ihrem großen Nachbarn in Grenzen, wohl weil die Deutschen mit ihren Mercedes-Limousinen, VW-Käfern und D-Mark-gefüllten Brieftaschen hierzulande als überheblich und wenig charmant galten. „Piefke können sich nicht entspannen“, schreibt der (deutsche) Autor Hubertus Godeysen in dem Buch Piefke, Kulturgeschichte einer Beschimpfung, „weil sie ständig unter Leistungsdruck stehen und ihnen die österreichische Genussfähigkeit sowie die Begabung fehlt, mit wenig Arbeit ein gemütliches Leben zu führen. Die Piefke jedoch lieben Österreich und glauben wiedergeliebt zu werden.“
Genau das wurde in den 1990er-Jahren in Felix Mitterers Fernsehserie Piefke-Saga thematisiert, in der die Hassliebe zwischen deutschen Urlaubern und Einheimischen zum Vorschein kam. Heftige Proteste auf beiden Seiten waren die Folge.
Die beste Definition, die beiden Nationen betreffend, stammt von Karl Kraus: „Was Deutschland von Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache.“ Tatsächlich wird das deutsche – vornehmlich preußische – Idiom als viel härter und weniger melodisch empfunden. Wörter wie „Tüte“ und „Tunke“ förderten im Lauf der Jahrhunderte wohl mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten zutage.
Eine weitere Definition kann hingegen widerlegt werden: „Was den österreichischen Humor vom deutschen unterscheidet, ist, dass es ihn gibt.“ Zwar werden nicht wenige der in Deutschland bis heute beliebten Komödianten von Hans Moser bis Peter Alexander in Hamburg ebenso geliebt wie in Wien, Graz oder Linz. Allerdings können wir nicht behaupten, dass Loriot, Karl Valentin, Heinz Erhardt oder Hans-Joachim Kulenkampff weniger schmähbegabt gewesen wären.
Man kann aber auch zu weit gehen. Im Jahr 2003 wurde Wolfgang A. Mozart in einer ZDF-Befragung zum „größten Deutschen“ gekürt – und das, obwohl er sicher kein Deutscher war. Allerdings auch kein Österreicher: Als er 1756 in der heutigen Mozartstadt geboren wurde, war Salzburg ein souveränes Erzbistum, das erst durch den „Wiener Kongress“ Österreich zufiel, doch da war Mozart bereits tot.
Die Zeiten, in denen Ösis piefkefeindlich waren, sind vorbei. Umfragen ergeben, dass die Österreicher von den Deutschen eine gute Meinung haben. Das liegt wohl daran, dass Piefkes und Ösis einander heute auf Augenhöhe begegnen: Einerseits als Partner in der EU, aber auch, weil der Lebensstandard in beiden Ländern ähnlich hoch ist, mehr noch: Die Deutschen kommen (in pandemiefreien Zeiten) nicht nur zum Schwimmen und Skifahren, sondern auch, um hier zu studieren und in dem kleinen Land, auf das sie einst gönnerhaft herunterschauten, Arbeit zu finden.
Bei aller Liebe: Zu den Sternstunden unserer wechselvollen Geschichte zählt immer noch jene von Córdoba. Als Hans Krankl bei der Fußball-WM 1978 drei Minuten vor Schluss das Tor zum 3:2 schoss und der Sportreporter Edi Finger im Siegestaumel mit ganz Österreich „narrisch“ wurde.
Da waren die Deutschen wieder Piefkes.
Kommentare