Wiens früherer Kulturstadtrat Peter Marboe erzählt in seinen Erinnerungen Geschichten aus dem eigenen Leben und aus dem seiner nicht minder berühmten Verwandtschaft.
Kaum eine andere Familie hat so viele kreative und erfolgreiche Menschen hervorgebracht wie diese. Die Marboes waren und sind Schriftsteller, Theatermanager, Politiker, Diplomaten, Fernsehintendant, Filmproduzent und Musikerin. Einer solchen Dynastie, die noch dazu mit Österreichs Kanzlerlegende Leopold Figl verwandt ist, müssen viele Geschichten entspringen. Peter Marboe (82), Wiens ehemaliger Kulturstadtrat, erzählt sie in seinen eben erschienenen Erinnerungen*.
Sein Vater Ernst Marboe war eine im Nachkriegs-Wien bedeutende Persönlichkeit. Er schrieb das Drehbuch zu dem 1952 entstandenen Kultfilm „1. April 2000“, dessen Titel das Datum des heiß ersehnten Staatsvertrags markieren sollte. Doch die Freiheit kam zum Glück viel früher: im Mai 1955 und damit in einer Zeit, als Ernst Marboe Chef der Bundestheaterverwaltung und somit Herr über „Burg“ und Oper war. Marboe war es auch, der Herbert von Karajan als Direktor an die Staatsoper holte.
Vier Jahre vor Peter Marboe war Ernst Wolfram, der spätere TV-Intendant, zur Welt gekommen. Mit einem schweren Handicap: Sein linkes Bein blieb kürzer, worunter er sein Leben lang zu leiden hatte. Der dritte Bruder, Philipp, war zuletzt österreichischer Handelsdelegierter in Paris.
Der nächste Schicksalsschlag traf die Familie 1957, als Peter gerade 15 Jahre alt war. Er und sein jüngerer Bruder wurden während des Unterrichts zum Direktor des Schottengymnasiums gerufen, „er müsse uns etwas Trauriges sagen“. Ihr Vater war im Alter von 48 Jahren plötzlich einem Herzinfarkt erlegen. „Es bedeutete das Ende der Kindheit“, schreibt Peter Marboe, „auf das Leben war kein Verlass mehr“.
Die Mutter musste ihre drei halbwüchsigen Söhne nun allein über die Runden bringen. In dieser Situation nahm sich der angeheiratete „Onkel Schwips“, wie der damalige Außenminister Leopold Figl familienintern genannt wurde, Peter Marboes an. „Ich durfte oft mehrere Wochen lang bei den Figls sein… Ich erlebte Onkel Leopold nie mürrisch oder launisch, immer strahlte er eine gewisse Fröhlichkeit, eine strukturelle Zuversicht aus.“
Drei Brüder machen Karriere
In dem Buch finden sich mehrmals die Worte „Glück gehabt“. Tatsächlich machen alle drei Marboe-Brüder Karriere. Ernst Wolfram wird ORF-Intendant, Philipp Diplomat und Peter geht in die Politik, zunächst als Sekretär von Bundeskanzler Josef Klaus. Eine Anekdote aus diesen Tagen, von Peter Marboe erzählt: Josef Klaus spaziert nach einer langen Parlamentssitzung spätabends, begleitet von seinem Sekretär Marboe, zum Ballhausplatz, da kommt am Graben eine „Schöne der Nacht“ auf den Kanzler zu, erkennt ihn nicht, hakt sich in dessen Arm ein und fragt: „Na, Vaterl, wie wär’s denn mit uns zwei?“
Klaus ist außer sich, dass in der Wiener City Prostituierte ihrer Tätigkeit nachgehen und beauftragt Marboe, am nächsten Morgen den Bezirksvorsteher der Innenstadt anzurufen und ihm nahezulegen, dass dies abzustellen sei. „Und so kam es, dass Schritt für Schritt nächtliches Geschehen dieser Art von der Innenstadt und den angrenzenden Bezirken zum Gürtel verlegt wurde.“
Später, als Direktor des österreichischen Kulturinstituts in New York, wird Peter Marboe von Kurt Waldheim als Büroleiter in das Team für die Bundespräsidentenwahlen 1986 nach Wien geholt. Der als weltoffen und liberal bekannte Marboe, der sich in den USA um die Verständigung mit den dort lebenden Emigranten bemüht hatte, weiß nicht, was da auf ihn zukam.
Marboe arbeitet für Waldheim
Als Vorwürfe bezüglich Waldheims Rolle in der NS-Zeit laut werden, versucht Marboe den Präsidentschaftskandidaten zu einer Erklärung zu überreden: „Ich legte ihm Auszüge aus der großen Rede des deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vor, mit dem Vorschlag, ähnliche Worte noch vor der Wahl zu finden.“ Peter Marboe ist heute noch überzeugt davon, dass Waldheim damit „viele Demütigungen, Sorgen und Beschränkungen während seiner Präsidentenzeit erspart geblieben wären“. Doch Waldheim war nicht bereit dazu.
Während Peter Marboe 1987 von Alois Mock zum Hauptgeschäftsführer der ÖVP bestellt wird, erleidet die Karriere des älteren Bruders Ernst Wolfram einen herben Rückschlag: „Nach einem (durchaus mitverschuldeten) Zerwürfnis mit Gerd Bacher (der ihn wohl als logischen Nachfolger verhindern wollte), wird er den ORF verlassen (müssen).“ Tatsächlicher Grund für den Rauswurf war, dass Ernst Wolfram Marboe 1993 entgegen einer Anweisung des Generalintendanten die Premiere der „Lustigen Witwe“ von den Seefestspielen Mörbisch im Fernsehen übertragen hat.
Peter Marboes politische Karriere nimmt indes Fahrt auf, als er 1996 in der Ära von Bürgermeister Michael Häupl Wiens Kulturstadtrat wird. In Marboes Amtszeit weht ein frischer Wind, er macht den Slogan „Mehr Kultur in der Politik, weniger Politik in der Kultur“ zu seinem Motto, schafft parteipolitische Einflussnahme in Kulturinstitutionen ab und setzt gegen vielerlei Widerstände die Errichtung des Holocaust-Mahnmals am Judenplatz durch.
Marboe gegen Schwarz-blau
Auch in der eigenen Partei macht sich Peter Marboe nicht nur Freunde, als er sich im Februar 2000 – ebenso wie Vizebürgermeister Bernhard Görg – öffentlich von der schwarz-blauen Regierung unter VP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel distanziert.
Peter ist mit der Juristin Irmgard Marboe verheiratet, sie haben zwei erwachsene Kinder, Anna und Jakob. Anna Mabo (tatsächlich so geschrieben) macht ihren Weg als Sängerin und Regisseurin. Und auch Ernst Wolfram Marboes Sohn Golli Marboe ist als Film-, TV- und Podcast-Produzent erfolgreich.
Die drei Marboe-Brüder hatten einst ein so gutes Verhältnis zueinander, dass Ernst Wolfram einmal sagte: „Der letzte von uns Brüdern, der, der überlebt, ist der Arme.“
Peter Marboe ist der letzte der drei Brüder.
georg.markus
* Peter C. Marboe, „Mehr Kultur in der Politik“, Erinnerungen, Böhlau Verlag, 296 Seiten. € 33,-. Öffentliche Buchpräsentation: 10. November, 20 Uhr Rabenhof Theater mit Peter Marboe, Livemusik: Anna Mabo. Eintritt: € 22,-
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