Noch lang nicht in Pension
Das Fernsehen ist 65. Es könnte also in Pension gehen. Denkt aber nicht daran. Denn wenn es auch durch private Kanäle und neue Medien heftige Konkurrenz bekommen hat, lebt es munter weiter. Natürlich ist alles anders geworden, seit das Österreichische Fernsehen am 1. August 1955 die erste Sendung seiner Geschichte ausstrahlte.
Diese erste Sendung war eine Diskussion mehrerer Journalisten, die der Frage nachgingen, ob das Fernsehen Zukunft hätte. Keiner hat die Frage mit „Ja“ beantwortet. Kein Wunder, das Ganze spielte sich fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab: Im ersten Jahr gab es in Österreich 1420 TV-Geräte.
Drei Kameras
Angesagt wurde die Sendung von Franziska Kalmar, der Ehefrau von Fritz Muliar. Sie war die erste Fernsehsprecherin des Landes und saß in einer ehemaligen Volksschule in Wien-Meidling, in der ein Fernsehstudio aufgebaut war. „Also Studio ist übertrieben“, erinnert sich Frau Kalmar heute. „In einem Klassenzimmer standen drei Kameras, mehr hatten wir nicht.“
Zu Beginn standen Sendungen für Hobbyköche, Blumen- und Briefmarkenfreunde und für Sprachinteressierte auf dem Programm. Doch bald wandte Fernsehdirektor Gerhard Freund einen alten Trick an, den man in anderen Ländern bereits angewandt hatte: Die ersten Stars traten auf den Plan!
„Servas die Buam“
Schon der allererste war ein Volltreffer: Der Radioliebling Heinz Conrads sagte seit 9. März 1957 im Fernsehen „Guten Abend am Samstag“, setzte sich von da an fast 30 Jahre lang „zu den G’sunden und Kranken“ und grüßte mit „Servas die Buam“.
Bald zog Karl Farkas die erste TV-„Bilanz“ und behielt trotzdem seine Distanz zum neuen Bildschirm. „Bekanntlich“, sagte er, „haben Edison und Marconi durch ihre Erfindungen das Fernsehen erst ermöglicht. Wir wollen ihnen das aber im Hinblick auf ihre sonstigen Leistungen nicht allzu sehr nachtragen.“
Ein Fernsehapparat kostete damals 6000 Schilling, und das war ein kleines Vermögen, also musste dem staunenden Publikum Aufregendes geboten werden, um es zum Kauf eines „Kastls“ zu bewegen. Noch wurde das „technische Versuchsprogramm“ eher im Kaffeehaus als in der eigenen Wohnung konsumiert, doch 1958 waren immerhin schon 50.000 TV-Geräte registriert.
In diesem Jahr ging auch die Fernseh-„Familie Leitner“ erstmals auf Sendung. Senta Wengraf, die die Schwiegertochter spielte, erinnert sich, dass die Zuschauer „damals alles ganz ernst nahmen. Als ich in der Serie ein Kind erwartete, sind die Leute in der Straßenbahn aufgestanden, weil sie dachten, dass ich wirklich schwanger war.“
„Ihr Auftritt, bitte“
1958 lief auch die erste Sendung mit dem Titel „Ihr Auftritt, bitte“. Die ins Studio gebetenen Künstler kamen gern, obwohl der Interviewer ziemlich arrogant wirkte. „Heinz Fischer-Karwin verstand es“, sagt sein oftmaliger Studiogast Otto Schenk, „den Schein der Arroganz auf sich zu ziehen, wodurch sein Gesprächspartner automatisch in ein sympathisches Licht gesetzt wurde.“
Die Assingers und Jauchs sind natürlich keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, zumal sich Quizsendungen schon in den Kindertagen des Fernsehens großer Popularität erfreuten. „Jede Sekunde ein Schilling“ hieß die Show mit Lou van Burg, und Rudolf Hornegg stellte in seinem „Quiz 21“ die knifflige Elferfrage. Hans-Joachim Kulenkampff wurde 1964 der König der Showmaster und erreichte mit „Einer wird gewinnen“ bis zu 30 Millionen Zuseher.
„Was bin ich?“
Was wäre die TV-Geschichte ohne Robert Lembkes Ratespiel „Was bin ich?“, ohne Hans Rosenthals „Dalli Dalli“, ohne Eduard Zimmermanns „Aktenzeichen XY“, ohne Fritz Eckhardts „Hallo, Hotel Sacher, Portier!“, ohne „Derrick“, „Kottan“, den „Seniorenclub“...
... und natürlich ohne Peter Alexander, der 30 Jahre den Samstagabend beherrschte.
Persönlichkeiten braucht nicht nur die Unterhaltung, sondern auch die Information. Teddy Podgorski erfand 1955 als erster Nachrichtenreporter den Titel der Sendung „Zeit im Bild“, und 1968 wurde Hugo Portisch zum Fernsehkommentator der Nation, nachdem er als damaliger KURIER-Chefredakteur das Rundfunk-Volksbegehren initiiert hatte, das die Unabhängigkeit des ORF sicherstellte. Mit „Österreich I“ und II hat er später die Geschichte fernsehgerecht aufgearbeitet.
Zu den Bildschirm-Pionieren zählte auch Helmut Zilk, der in den 1950ern den Schulfunk gegründet hatte, unter Generalintendant Gerd Bacher Fernsehdirektor wurde und mit seinen „Stadtgesprächen“ TV-Geschichte schrieb.
Der Opernführer
In der Kultur beeindruckte Marcel Prawy, der von 1965 bis zu seinem Tod 2003 rund 240 Folgen seines „Opernführers“ gestaltete und alle Sendungsunterlagen in seinen berühmten Plastiksackerln mitbrachte.
Nicht zu vergessen bei den TV-Legenden sind die Sportreporter Heribert Meisel und Kurt Jeschko und der Tierprofessor Otto Koenig.
Als das Fernsehen 1969 bunt wurde, revolutionierte eine unkonventionelle Idee die Unterhaltung: Vivi Bach und Dietmar Schönherr setzten in „Wünsch dir was“ Themen vor, die Aufsehen erregten. Man war fassungslos, wenn die Mitglieder einer Kommune kamen oder gar ein 17-jähriges Mädchen in Transparentbluse.
Ein Teil unseres Lebens
Aus dem Patschenkino, an das kaum jemand glauben wollte, wurde ein Massenmedium. Als man ÖVP-Kanzler Julius Raab fragte, welche Partei den Einfluss auf das Fernsehen übernehmen soll, traf er eine Entscheidung, die sich als nicht gerade wegweisend erweisen sollte: „Lasst’s des Fernsehen den Roten, aus dem wird eh nie was!“
Gab es Ende der 1960er-Jahre eine Million Fernsehgeräte, so sind es heute sechs Millionen. Kaum ein Österreicher kann (und will) sich dem Bildschirm entziehen, er ist ein Teil unseres Lebens geworden. Und zu diesem Leben gehören und gehörten auch der „Club 2“, der Mundl, Thomas Gottschalk, „Licht ins Dunkel“, Rudi Carell, Barbara Stöckl, Vera, ORF III, „Seitenblicke“, Armin Wolf...
Nein, das Fernsehen geht noch lang nicht in Pension.
TV Tipp
„65 Jahre Fernsehen, Menschen und Mächte“ 1. Teil: Donnerstag, 23. Juli, 21 Uhr, ORF 2.
2. Teil: Donnerstag 30. Juli, 21 Uhr, ORF 2.
Von Andreas Novak, Robert Gokl und Edith Stohl.
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