Ist uns von den Genies und auch vom feudalen Geschehen bei Hof relativ viel überliefert, so wissen wir vom Leben des „kleinen Mannes“ bzw. der „kleinen Frau“ in der Mozartzeit relativ wenig. Doch das Wenige ist schlimm genug: Die Straßen der großen Städte – Salzburg hatte rund 10.000, Wien 180.000 Einwohner – waren übel riechende Kloaken, es gab weder Kanalisation noch Müllabfuhr. Tödliche Krankheiten und Epidemien waren die Folgen dieser katastrophalen Situation.
Dass Mozarts Genie überhaupt zur Entfaltung kommen konnte, grenzt an ein Wunder. Denn fünf der sieben Kinder, die seine Mutter Maria Anna zur Welt brachte, starben im Säuglingsalter. Nur Wolfgang und seine Schwester Nannerl überlebten. War doch die Säuglingssterblichkeit 30 Mal höher als heute, sodass die Menschen im 18. Jahrhundert durchschnittlich 35 Jahre alt wurden – ebenso alt wie Mozart übrigens, der 1791 starb.
Kein Wunder, die Kunst der Ärzte beschränkte sich fast ausschließlich auf Beobachtung des Krankheitsverlaufs und bestenfalls auf Linderung der Schmerzen. Operationen und Zahnextraktionen wurden aber ohne Narkose durchgeführt. Dazu kamen Kriege und Hungerkatastrophen, die mit schauriger Regelmäßigkeit ihre Opfer forderten.
Als Wolfgang Amadeus im Alter von sechs Jahren die Kaiserin Maria Theresia durch sein Klavierspiel im Schloss Schönbrunn entzückte, setzte gerade das Zeitalter der industriellen Revolution ein. Die ersten Spinnwebereien wurden errichtet und Dampfmaschinen konstruiert, die dann später die Entwicklung der Eisenbahnen ermöglichten. Doch den Zeitgenossen Mozarts brachte der technische Fortschritt vorerst kaum sozialen Aufstieg.
Eine Dienstmagd oder eine Wäscherin verdienten einen Gulden pro Monat – was dem heutigen Geldwert von rund 20 Euro entspricht. Mozart, der ab seinem 25. Lebensjahr in Wien lebte, verdiente hier als Klavierlehrer etwa so viel wie ein Oberarzt am damaligen Allgemeinen Krankenhaus – 70 Gulden pro Monat. Das Einkommen eines Handwerkers war nicht viel höher als das einer Magd, die drei Viertel ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben musste. Der Rest ging für die Miete ihrer – schrecklich primitiven – Wohnung auf, in der es weder Toilette noch Badezimmer gab. Die menschlichen Fäkalien landeten in Sickergruben, die sich direkt neben den Wohnhäusern befanden und Ungeziefer anlockten. Gewaschen mit Wasser und Seife hat man sich fast nie, schmutzige Körperstellen wurden mit Puder oder wohlriechenden Essenzen übergossen.
Ungesunde Ernährung führte selbst in adeligen Häusern zu Krankheit und Tod: Da Milch, Butter und Fleisch im Sommer bei viel zu hohen Temperaturen gelagert wurden, waren die konsumierten Lebensmittel sehr oft verdorben, sodass Magenverstimmung, Durchfall, Erbrechen, Ohnmachts- und Fieberanfälle zum Alltag auch der Wohlhabenden gehörten.
In der Zeit Mozarts arbeitete man im wahrsten Sinne des Wortes „bis zum Umfallen“. Die 75- bis 80-Stunden-Woche war üblich, in Pension gehen konnte man nicht, da es keinerlei soziale Vorsorgen gab. Wer krank oder altersschwach war, blieb auf die Unterstützung seiner Kinder angewiesen, die gesetzlich verpflichtet waren, ihren bedürftigen Eltern beizustehen. Hatte man keine Kinder oder waren diese nicht in der Lage, für ihre Eltern zu sorgen, fiel man der öffentlichen Armenpflege anheim. Die in den Städten herrschende Wohnungs- und Hungersnot führte zu Elendsquartieren und Massenausspeisungen.
Manch honoriger Bürger, dem das Schicksal übel mitgespielt hatte, musste sein Leben als Bettler beschließen.
Auch Kinder wurden infolge der drückenden Armut zur Arbeit geschickt, lernten daher – bis zur Einführung der Schulpflicht durch Maria Theresia – weder lesen noch schreiben, was dazu führte, dass drei Viertel der Landarbeiter Analphabeten waren. Bauern wurden zum Teil immer noch als Leibeigene ihrer Grundherren ausgenützt. Folter und Todesstrafe waren noch nicht abgeschafft, und die Frau war dem Mann auch nach dem Buchstaben des Gesetzes „untertan“. Erst die Reformen Kaiser Josephs II. brachten – das war in den letzten Lebensjahren Mozarts – wesentliche Besserstellungen.
Positiv im Vergleich zu heute war wohl nur, dass man sich damals weit mehr bewegte als wir dies tun. Innerhalb der Stadt oder des Dorfes wurde praktisch jede Strecke zu Fuß zurückgelegt, nur wenige konnten es sich leisten, durch Sesselträger oder Pferdefuhrwerke befördert zu werden.
Da es keinerlei medizinische Versorgung im heutigen Sinn gab, führte praktisch jede schwere Krankheit zum sicheren Ende. Wie sehr die Menschen im Angesicht des Todes lebten, zeigt ein Brief des knapp 30-jährigen Mozart an seinen Vater: „Ich lege mich Abends nie zu bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht (so Jung als ich bin) den anderen Tag nicht mehr seyn werde.“
Auch der Weitblick seiner Zeitgenossen hielt sich in Grenzen. Der damals gefeierte und heute vergessene kaiserliche Hof- und Kammerkompositeur Leopold Kozeluch wurde als Künstler weit höher geschätzt als Mozart.
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